Denk mal übers Denkmal nach
Unsere Reise führte uns auch nach Irland und Schottland, wodurch wir die komplexe Historie der Engländer und Nichtengländer, zu denen sich auch die Schotten zählen, besser verstehen lernten. „Frag nie einen Schotten, ob er Engländer sei“, wurde uns von der Reiseleitung eingeheizt, „sie bekennen höchstenfalls, Briten zu sein.“ In Irland muss man gut überlegen, welches nun Iren, welches Engländer sind. Die unterschiedliche Geldwährung verrät es einem. Man bleibt betroffen vom alten irischen Konflikt, der diese Nebensächlichkeit (und anderes mehr) nötig macht.
Was mir in Irland besonders auffiel, war die unbeschreiblich grosse Denkmalfreudigkeit. Kam mir jedenfalls so vor. Sowohl im Süden, wie im Norden. Irgendwann liess ich Gefährte gegenüber fallen: „Wenn das so weitergeht, wird Irland mal noch Bodenprobleme bekommen, der zahllosen Denkmäler wegen …“
Über Denkmäler wird jahrhundertealte Geschichte warm gehalten. An sich nichts Fragwürdiges. Wer seine Geschichte kennt, lebt besser, als der, der nicht weiss, woher er kommt. Selbst wenn die Geschichte komplex oder schwierig war. Dunkelziffern sind nicht selten quälende Geheimnisse. Identität entwickelt sich u.a. auf dem Hintergrund der eigenen ungeschönten Historie. National wie auch persönlich.
Wenn man dann aber an verschiedensten Denkmälern vorbeigekommen ist von Menschen, die ihrem Land nicht gut taten, fragt man sich schon, ob solche Denkmalpflege einem Volk förderlich oder hinderlich sei? Mir schien, dass die Süd- und Nordiren (letztere sind Engländer) überaus stark vergangenheitsbewusst, um nicht zu sagen, daran gefesselt sind. Mag sein, dass ihre Denkmalkultur auch einen hemmenden Beitrag dazu leistet, dass sie einfach nicht über ihren jahrhundertealten Konflikt hinwegkommen?
Nicht ungefährlich, sich so sehr nach hinten zu orientieren. Darauf fixiert zu sein. Immer wird das Leben vorwärts gelebt. „Wem oder was denken wir nach, widmen wir unsere Zeit, unsere Gedanken? Wo wollen wir hin? Wer oder was bringt uns an ein erfreuliches Ziel, als Nation oder Einzelperson?“ Grundfragen des Lebens. Dazu braucht es Ermutigung. Stärkung. So dachte ich bei mir. Von negativen Vorbildern fliesst mir solches nicht zu. Ich träume davon, dass ich immer festere Schritte in folgende Richtung tue, ja, dass dies zu meiner primären Lebenshaltung wird, für die ich mich entscheiden kann, entscheiden will. Paulus rät:
Und nun, liebe Freunde, lasst mich zum Schluss noch etwas sagen: Konzentriert euch auf das, was wahr und anständig und gerecht ist. Denkt über das nach, was rein und liebenswert und bewunderungswürdig ist, über Dinge, die Auszeichnung und Lob verdienen. (Philipper 4/8, Neues Leben-Übersetzung)
Denkmäler, die an gelungene Wege und Entwicklungen erinnern, wären bestimmt befreiender und konstruktiver für die Iren als all jene, die seit unzähligen Jahren ein düsteres Erbe konservieren und mit „Erfolg“ am Leben erhalten. Bis heute. Nicht, dass unschöne Geschichten unter dem Teppich verschwinden sollen. In Geschichtsbüchern gehören sie unbedingt hin. Ob aber auf einen Sockel der Bewunderung? Davon würde ich mit Überzeugung Abstand nehmen.
Nun lässt sich leicht über Irlands vielleicht etwas fragwürdige Denkmalkultur nachdenken. Steht weit ausserhalb meiner selbst. - Doch plötzlich war ich mit den eigens aufgerichteten Denkmälern konfrontiert. Nein, ihretwegen wird es nie Bodenprobleme geben. Trage sie mit mir herum. Innerlich … Federleicht – doch sie können tonnenschwer auf mir lasten, wenn es sich um Denkmäler handelt, die mich deprimieren.
Ein Boxenstopp könnte jetzt sinnvoll sein. Will mich so ehrlich wie möglich den folgenden Fragen stellen:
- Habe ich Denkmäler gewählt, die mir und meinen Mitmenschen förderlich sind?
- Oder bleibe auch ich in einer Vergangenheit hängen, die mich unselig fesselt, in einem düsteren Raum gefangen hält und mich unfrei macht fürs Heute und Jetzt?
- Wähle ich hilfreich oder zerstörerisch?
- Wen oder was stelle ich unsichtbar auf einen Sockel der Bewunderung?
- Wem oder was widme ich die meiste mir anvertraute Zeit?
- Wem oder was denke ich tagaus-tagein am meisten nach?
Dies sind meine Denkmäler.
Ich kenne die Zeiten gut, in denen mir das falsche Wählen passiert ist. Die letzte liegt nicht weit zurück. Und es wird bestimmt nicht die letzte bleiben. Doch ich weiss, immer wieder neu will ich mich dafür entscheiden:
"Dort will ich nicht stehenbleiben!", – und bin mir gleichzeitig der grossen Gnade bewusst, die ich brauche, um nicht an hinderlichen „Denkmälern“ klebenzubleiben. Will vielmehr nach jenem unverzichtbaren WEGKREUZ Ausschau halten, das mir den Weg nach vorne, wie auch den Weg nach oben weist. Mit jedem Sonnenaufgang neu.
Ob es mir passt oder nicht, dieser Weg führt nicht am Leiden vorbei. Aber mittendrin steht ER und trägt mich in beispielhafter Liebe und Treue durch (auch dann, wenn ich es anders empfinde). Sowohl in der Horizontalen des täglichen Lebens, wie auch hinein in die Vertikale, wo die Schatzkammern des Himmels liegen. Er hilft mir, aus ihnen zu schöpfen - Kraft um Kraft, Freude um Freude, Vergebung um Vergebung - für mein Leben hier auf Erden. Gnade.
Denn euch ist es im Blick auf Christus geschenkt worden, nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden. (Philipper 1/29 Elberfelder-Übersetzung)
Wer kommt schon spontan auf die Idee, dass Leiden ein Geschenk sein könnte - irgendwann? Gott. Er ist auch bereit, uns zu diesem "Irgendwann" zu führen, Schritt für Schritt. An Seiner Geduld mangelt es nicht.
Ich würde arg missverstanden, wenn daraus geschlossen würde, mein Leben sei mit Leiden gleichzusetzen. Doch bleibt es wahr, so unbequem es auch ist, dass Leiden für diese Erdenzeit im Grunde genommen nichts anderes als normale Begleiterscheinungen in einer gefallenen Schöpfung sind. Dass wir daneben noch so viel Gutes, Wunderschönes, Frohes, Erbauliches erleben, ist alles andere als unser Recht, alles andere als selbstverständlich. Es ist und bleibt so ganz und gar GNADE. Wie gut eine Adresse zu haben, an die ich meinen Dank richten kann.
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