Die ersten Wochen des beruflichen Untätigseins bescherten mir mehr Frohes und Ermutigendes, als ich mir im Vorfeld vorstellen konnte. Es hat mich Mut gekostet, meine Anstellung als beratende Heilpädagogin zu kündigen. Vieles in diesem Berufsbild bereitete mir Freude und verschiedenes war sehr auf mich zugeschnitten. Nicht alles, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt.
Dass ich Vorgesetzte hatte, die nicht nur mit Kopf vorsitzen, sondern auch viel Herz und Hand haben, machte mir meinen Entscheid nicht einfacher. Dies wurde mir zum letzten Mal am Schuljahres-Abschlussessen bewusst. Alle rund 150 Angestellten unseres Schulheims durften sich an den Tisch setzen und wurden liebevoll und fröhlich von den Vorgesetzten bedient! Vorgesetzte, die ihren Mitarbeitern dienen – wo gibt es das noch in unserer leistungsorientierten Berufswelt? Mit Sicherheit nicht wie Sand am Meer. Leider, denn das ist vielleicht das beste Oel im Getriebe. Olivenoel!
Ihr aber nicht so! Sondern der Größte unter euch sei wie der Jüngste und der Führende wie der Dienende. (Lukas 22/26)
Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele. (Markus 10/45)
Hat mich so beeindruckt und gefreut - gleichzeitig in diesem Sinne traurig gemacht: „Und eine solche Institution verlässt du …?“
Und doch erlebe ich jetzt vielfältig, dass diese Entscheidung gut war. Zwar vermisse ich meine Vorgesetzten und meine Heilpädagoginnen, die ich begleitet habe. Kontakte zu einzelnen weiter zu pflegen ist aber möglich. Kann ich einrichten. Die Arbeit des Drumherums vermisse ich nicht, weil es wirklich dringend nötig für mich ist, ohne berufliches Eingespanntsein meinen Weg nach vorne zu suchen und zu finden. Vorderhand nicht mehr in einem komplexen, heilpädagogischen Umfeld. Nur so ist das langsamere Gehen für mich gegenwärtig umsetzbar, wie es mein innerer Mensch verlangt. Ein Geschenk, dass ich darauf hörte. Ein Geschenk, dass es die äusseren Umstände zulassen und Gefährte mich darin sehr unterstützt.
Heute Morgen sass ich während meiner „Oasenzeit“ wieder einmal draussen am Gartentisch, an wohliger Spätsommerwärme. Herrlich! Plötzlich sass ich vor einem Fund aus alter Zeit. Nahm das Oasenzeit-Büchlein, das ich vor 25 Jahren zusammengestellt hatte, wieder einmal hervor und begann interessiert darin zu blättern und zu lesen. Unter dem Titel "Montag" stiess ich auf einen eindrücklichen Text! Sieh mal einer an: Offenbar beschäftigte mich das Thema „langsamer gehen“ schon damals. Dieses wunderschöne Gebet zauberte ein dankbares, langes Lächeln auf mein Gesicht. Nein, es ist nie zu früh – und nie zu spät – langsamer gehen zu lernen …
Lass mich langsamer gehen, Herr.
Entlaste das eilige Schlagen meines Herzens durch das Stillwerden meiner Seele. Lass meine hastigen Schritte gleichmässiger werden mit dem Blick auf die weite Zeit der Ewigkeit.
Gib mir inmitten der Verwirrung des Tages die Ruhe der ewigen Berge.Löse die Anspannung meiner Nerven und Muskeln durch die sanfte Musik der singenden Wasser, die in meiner Erinnerung lebendig ist.
Lehre mich die Zauberkraft des Schlafes erkennen, die mich erneuert. Lehre mich die Kunst des freien Augenblicks.
Lass mich langsamer gehen, um eine Blume zu sehen, ein paar Worte mit einem Freund zu wechseln, einen Hund zu streicheln, ein paar Zeilen in einem Buch zu lesen.
Lass mich langsamer gehen, Herr, und pflanze den Wunsch in mein Herz, meine Wurzeln tief in den ewigen Grund zu senken, damit ich emporwachse zu meiner wahren Bestimmung.
Aus Südafrika
Ohne immer wiederkehrende Oasenzeiten im Angesicht meines Schöpfers werde ich sehr schnell vom Leben gelebt. Lebe nicht jenes Leben, das meines sein soll. Wozu ich geschaffen, erfunden, begabt und begrenzt wurde. Ja, das glaube ich. Ein grosses Geschenk, dass ich diese Kunst neu einüben darf. Alles hat seine/Seine Zeit.
Kommentar schreiben