Ich sitze hier auf einem ganz besonderen Brunnen. Er steht im Hof meiner Ausbildungsstätte, die unterwegs zur Grundschullehrerin fünf Jahre meine Schulheimat war. Eine kleine, familiäre Schule, an der man sich klassenübergreifend recht gut kannte. Das entsprach mir. Teilte immer gerne Leben. Der stattliche Brunnen war mir von Anfang an sehr lieb, stand oft in seiner Nähe und freute mich am frischen Wasser, das mir sommers wunderbar Arme oder Kehle kühlte.
Es sind nun 40 Jahre her, als ich allein und mit dem tiefen inneren Bewusstsein an diesem Brunnen stand: „Wenn nicht irgend eine Gnade mich hält, dann bin auch ich zu jedem Mist fähig, der dem Feind Gottes nur allzu gern von seinem Karren fällt.“
Ein unglaublich wichtiger Moment in meinem Leben, den ich nie mehr vergessen sollte. Allerdings dauerte es noch eine Weile, bis ich die innere Kurve ans Herz von diesem „Irgendjemand“ fand, der mich bis heute in grosser Treue gehalten und getragen hat: Jesus Christus. In diesen vier Jahren war es nicht einfach, desillusioniert über mich selbst zu sein, ohne den gefunden zu haben, der mich darin voll Gnade und Barmherzigkeit tragen kann und will. Manchmal hatte ich Angst vor mir selber, also vor der nackten Tatsache, dass ich - auf mich allein gestellt - zuinnerst nicht davor gefeit war, mich in düstere Sphären zu verstricken. Was wenn? Letztlich, das war mir damals klar, bin ich nicht verlässlich. Vielmehr darauf angewiesen, dass mir jemand viel Grösseres als ich hilft, eine gute, sinnvolle Lebensspur zu ziehen.
Sehe ich heute nicht anders. Ich brauche ein Gegenüber, das in mir die Sehnsucht mehrt und stetig stärkt, mein Leben so konstruktiv und fruchtbar wie nur möglich zu gestalten. Brauche jemanden, der mir zeigt, wie ich das mit meinen Gaben und Grenzen konkret anpacken kann.
- Einen, der mir nach Aschenputtels Manier beim Sortieren aller Lebenseindrücke und Erfahrungen hilft: Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.
- Einen, der mit meinen Fehltritten besser klarkommt als ich.
- Einen, der inklusive all meiner Schattenseiten JA zu mir sagt, mir wieder aufstehen und weitergehen hilft, wenn ich gefallen und irgendwo im Schilf gelandet bin.
- Einen, der mich vorbehaltlos liebt.
- Einen, der in mir all das ausbilden hilft, was meiner kleinen Welt und ihren Menschen in den Grundzügen zum Segen werden kann.
- Einen, der nicht nur ehrbare Werte vertritt, sondern sie selber lebt.
Ja, einen, der diese Werte letztlich mit seiner ganzen Person IST. Was heisst das?
Nicht allein Liebe üben – Liebe sein. Nicht nur Wahrheit verbreiten – Wahrheit sein. Nicht bloss von Barmherzigkeit reden – Barmherzigkeit sein. Nicht grosszügig Vergebung predigen – vielmehr Vergebung sein: Am Kreuz von Golgatha, höchst persönlich. Für mich, für Dich. Da kommt mir nur ein Name in den Sinn: Jesus Christus.
Ich hatte von Anfang an eine liebe Freundin aus der Klasse zur Seite, die mich früh auf diesen Namen hinwies. Die goldrichtige Adresse, wie sich schliesslich in meinem Leben erwiesen hat. Gleichwohl hat es vier Jahre gedauert, bis ich den mutigen Entscheid traf oder treffen wollte, mein Leben fortan Ihm anzuvertrauen, mit Ihm zu teilen und Ihn zum gültigen, verbindlichen Kompass meiner Lebensreise zu machen. Bis heute der beste Entscheid meines Lebens.
Auch wenn ich bis an mein Lebensende mit Fehltritten rechnen muss, bin ich seither in Gottes Armen aufgehoben, habe eine konkrete Adresse, an die ich mich wenden kann, wenn ich am Schwimmen, orientierungslos oder hingefallen bin. Er hilft jedem gerne weiter, der Ihn bittet. Eine Adresse, die mit meinem Versagen klarkommt, wie niemand sonst, mir Freudenoel statt Trauer schenkt. Gnade.
Vergangene Woche kamen Gefährte und ich an meinem alten Semi vorbei. Genauer gesagt: Wir mussten dort vorbei, weil Gefährtes Frau nach dem erfrischenden Ehemaligentreffen im September ohne Regenmantel, aber mit vielen wertvollen Eindrücken nach Hause kam …
So sitze ich hier, 40 Jahre später, mit unserem „Pooh“ auf dem Brunnenrand dieses geschichtsträchtigen Brunnens – und denke mit Freude zurück und himmelwärts. Besonders dankbar dafür, dass ich in diesen fünf Studienjahren mit Jenem konfrontiert wurde, der sich unbeschreiblich tief danach sehnt, unsere Ängste, unsere Scherben, unsere Schuld auf sich zu nehmen. So, als hätte Er, der ohne Fehltritte über diese Erde ging, an unserer Stelle gestanden, um uns den Weg frei in ein befriedetes Leben auf Erden, mitten in Schwierigkeiten, und schliesslich frei in den Himmel zu machen.
Die Reise geht weiter. Letztlich himmelwärts. Dort, wo alles erst so richtig beginnt. Würdevoll und feierlich.
... und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
Offenbarung 21/4
Eins meiner vielen Lieblingslieder ist hier zu finden:
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