Wenige Tage später, als es bereits eindunkelte, trug ich dich für ein feierabendliches Weilchen vom Balkon auf meiner Schulter ins Wohnzimmer herunter, lud dich auf der Sofalehne ab und setzte mich halb liegend neben dich, um dir einfach zuzuschauen und dein Wesen zu studieren. Es dauerte nicht lange, wagtest du den Sprung auf meine Schulter zurück, auf der du dich zufrieden zur Ruhe legtest. Gefährte war ganz hin von diesem friedvollen Bild, das er fotografisch festhalten wollte. Mit der Zeit wurde ich in meiner halb sitzenden Stellung müde und legte mich vorsichtig hin.
Siehe da, du machtest bestens mit und trippeltest der Schulter entlang, Richtung Hals, wo du dich für eine gute Stunde einquartiertest, um ein Schäferstündchen zu halten. Dabei drücktest du dein weiches, warmes Bäuchlein ganz dicht an meinen unlängst operierten Hals und legtest dich schlafen. Einfach einmalig, diese gemeinsame, von beglückendem Frieden begleitete Ruhestunde. Über uns lag Seligkeit, die von Worten nicht eingefangen werden kann ...
Kürzlich kamst du nicht um eine wichtige, doch ziemlich anstrengende Fluglektion herum. Gefährte und ich mussten uns dem Wocheneinkauf widmen, während Philosoph, Vogelfreund und dessen Kamerad zuhause Zeit verbrachten. Als wir vom Einkauf zurückkamen, hattest du deine legendäre Flugstunde bereits überstanden – aber wie ...? Möglicherweise haben wir dich auch davon erlöst? Das Bild, das du jetzt abgabst, sah demjenigen vor unserer Einkaufsrunde nur noch ähnlich: wild zerzauste Flaumfedern über Deinem linken Auge - und deine einst den Rücken geradlinig verlängernden Schwanzfedern wiesen eine auffallende Schlagseite im 30°-Winkel nach links auf....! Zum Glück ist die zweite Generation Schwanzfedern bereits am Wachsen! Du meine Güte, was hast du in der vergangenen Stunde bloss alles durchgemacht? Auf meine Frage hin, ob du vielleicht bei deinen Flugversuchen auch mal im Fenster gelandet seist, meldeten mir die Buben kleinlaut: „Ja, aber nur etwa fünf Mal ...!“ Die Kompetenz deiner Fluglehrer stand zweifellos in Frage, wenngleich sie es ja wirklich lieb mit dir meinten. Wollten dich bloss auf dein Erwachsensein vorbereiten wollten, indem sie dich in die Luft warfen und zum Fliegen animierten. Aber dazu scheint uns und dir ein Wohnzimmer mit riesigen Fenstern nicht gerade die idealste Örtlichkeit zu sein! Kein Wunder, dass du mit deinem Kopf durch unsere Glaswände wolltest, denn was Scheiben sind, weißt du ja nicht – und dass Vögel das Fliegen üblicherweise im Freien üben, haben deine drei Fluglehrer komplett übersehen – vielleicht auch aus Angst, dich dabei verlieren zu können? Wie gut, dass wir noch rechtzeitig nach Hause gekommen sind, um dir nicht gleich ein kleines Grab schaufeln zu müssen.
Du warst aber doch ziemlich durcheinander und erschöpft, was wir unter anderem daran erkannten, dass du nicht einmal mehr Lust auf Spinnen hattest. Das war das einzige Mal in unserer gemeinsamen Zeit, in der es dir den Appetit verschlug.Zum Glück nur für ein gutes Stündchen! Ja, der vergangene Samstag war gewiss dein verrücktester, Strapazen reichster Tag bei uns, lieber Piep-Matz; verzeih! War ja so gut gemeint von den Buben, dich väterlich im Fliegen zu fördern – doch Menschen sind halt keine Vögel ...!
Gar herzlich, deine Fördergruppe.
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