Lieber Piep-Matz!
Der Tag des Loslassens ist gekommen – die „turbo-lente“ Flugstunde von gestern scheint wider Erwarten im Eilzugstempo zum Erfolg geführt zu haben! Oder dachtest du dir nach dem gestrigen Frust vielleicht auch: „Einmal und nie wieder - jetzt aber ab durch die Büsche!“
So hast du heute Nachmittag um 15.30 Uhr zum einschneidenden „Start in die Vogelfreiheit“ abgehoben, gerade in einem Moment, als dein Entdecker, Vogelfreund, dir wieder einmal liebevolle „Balkongesellschaft“ geleistet hat! Gerade so, wie er dich als Retter zu uns gebracht hat, hast du uns im alleinigen Beisein von ihm wieder verlassen; ein schönes Detail dieser Geschichte. Ein Kreis, der sich wunderbar geschlossen hat. Eine Tatsache allerdings, die Vogelfreund mir halb wachend, halb träumend melden kam.
Es ist ja so gut, dass du den Sprung in die Wolken gewagt hast, kleiner Schatz – aber ich nahm unverzüglich wahr, wie mein Herz über diesem, wenn auch nötigen Abschied ganz schnell ins Land der Tränen rutschte. Ich konnte sie gut innen runter rutschen lassen. Gleichwohl schmerzte die Tatsache, dass eine wundersame, kostbare und einmalige Zeit vermutlich für immer an ihr Ende gekommen war. Ich weiss: in den Augen vieler Menschen bin ich gewiss ein unbegreifliches „Dummerchen“, das so etwas Alltäglichem, wie einem ganz normalen Singvogel nachtrauert. Aber weißt du was? Die wissen nicht, können es nicht einmal erahnen, was für eine ungewöhnliche, uns bis in die tieferen Schichten unserer Seele segnende Bereicherung du für uns warst – und Gott sei Dank auch über dein mit uns Sein hinaus bleiben wirst. Nie hätte ich bis vor vier Wochen geahnt oder zu träumen gewagt, dass ein hundskommuner Singvogel je herzlich geliebter, zutraulicher Freund unserer Familie werden könnte! Du bist für uns nicht irgendein Vogel, wie wir Vögel bisher kannten – du bist und bleibst unser wertgeschätzter und geliebter kleiner „Piep-Matz“, von dem es keinen zweiten gibt. Einer, der uns drei gute, spannende Wochen lang in unbeschreiblicher Weise und eindrücklichem Mass erfreut, beschenkt, belehrt und vielfältig beglückt hat. Über alle unsere Sinne – jedenfalls fast. Von der Gaumenfreude nahmen wir selbstverstänldich Abstand.
Ich denke gerade an dein morgendliches Zwitscherkonzert vor unserem Schlafzimmerfenster, das besonders gestern gar lebendig, fröhlich und variationenreich über deinen spitzen Schnabel glitt. Meist hast du morgens mit Zwitschern losgelegt, sobald du vernahmst, dass Gefährte und ich miteinander zu reden begannen – wirklich sehr rücksichtsvoll von dir, bis dahin Nachtruhe zu halten. Aber dann ging’s fröhlich los mit dem gegenseitigen „guten Morgen sagen“, was ein gar herrlicher, erfrischender Start in den neuen Tag für mich wurde. So hast du jeden neuen Morgen meine Seele erquickt, bis sie die Idealtemperatur zur Begegnung mit anderen Menschen erreicht hatte.
Wer kann schon ermessen, was für ein seliges Aufstehen ein gezähmtes Wildvöglein einem bescheren kann, der das noch nie erfahren durfte? Ich weiss, dass ich dein frohes Morgengezwitscher und das „gemeinsam in den Tag gehen“ schmerzlich vermissen werde, lieber Piep-Matz. Aber ich weiss auch, dass die Erinnerung daran ein edler Schatz in meinem Herzen bleibt, der mich fortan durch mein Leben begleiten wird; hab einfach Dank dafür.
Wer nichts, was ihm lieb ist, vermissen kann, der kennt auch seine Schätze nicht! Wie wahr das doch ist!
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