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Piep-Matz 9

Philosoph scheint geahnt zu haben, dass deine „Stunde der Wahrheit“ bald vor der Tür steht, bat er mich doch heute Mittag eindringlich darum, dich in der Zeit seines Abenteuer-Lagers, das heute begann, noch nicht fliegen zu lassen. Da musste ich ihm vernünftigerweise erklären, dass wir dir die volle Freiheit zu gehen gerne lassen möchten, ja, dass wir Dich nicht künstlich festhalten möchten, nur weil uns selbstsüchtigen Wesen das Abschiednehmen so oft nicht passen will.

 

„Sobald Piep-Matz es sich zutraut, sich selbst über die Balkonbrüstung hinaus himmelwärts zu schwingen, wird er reif für die Freiheit und vor möglichen Räubern recht gut geschützt sein“, gab ich unseren Kindern in den letzten Tagen zu verstehen, was sie eigentlich recht gut begreifen konnten. Möge es mir eines Tags auch bei ihnen gelingen, was ich durch Piep-Matz üben durfte! Darauf entschloss sich Philosoph dazu, bevor er aufbrechen musste, dich noch einmal ganz bewusst zu herzen, Zeit mit dir zu verbringen, dich zu streicheln und auf seinen Schultern zu geniessen. Sogar einen Abschiedskuss hat er dir spontan auf deine unbekannte Reise mitgegeben – was wollt ihr beide mehr?

 

Ich denke nicht, dass Philosoph an der Nachricht deines Umzuges „aus der Enge in die Weite“ Freude haben wird. Aber das spricht ja nur für dich, lieber Pieper, und alles, was du auch ihm in der gemeinsamen Zeit zu schenken vermochtest an Werten, die in keinem Kaufhaus zu finden sind und die kein empfindsames Herz je verlieren kann.

 

Auch Vogelfreund gab dem Verlust, den er nun verspürte, klaren Ausdruck: „Finde es so schade, dass Piep-Matz uns verlassen hat. Ich hätte ihn so gerne als Vöglein behalten.“ „Wie gut ich deine Kinderseele verstehen und spüren kann, lieber Vogelfreund, es geht mir selbst doch ganz ähnlich wie dir. Nur wir wollen nicht vergessen, dass Piep-Matz von seinem Erfinder für die Freiheit in der Luft bestimmt und zu ihr berufen worden  ist. Diese wollen wir ihm von Herzen gönnen. Das ist immer am besten so, es sei bei Tieren oder Menschen.“ Gerade fällt mir ein sehr treffendes, zu allen Zeiten gültiges Lied ein:

 

„LOSLASSEN HEISST GEWINNEN – VERLIEREN HEISST ERHALTEN – ALLES, WAS DU DEINEM GOTT GIBST, SCHENKT ER DIR VIELFÄLTIG ZURÜCK...“

 

Nicht unbedingt so, wie wir uns das vorstellen. Ja, liebes Pieperchen - so nannten wir dich in den letzten Tagen oft - das ist auch unsere Erfahrung mit Dir:

 

FINDEN – PFLEGEN – LOSLASSEN 

und gerade deswegen BEHALTEN

im Herzen drin

 

Wir haben Dich jetzt zwar verloren, wissen aber, dass Du bist, wo Du hingehörst und bleiben trotz und vielleicht sogar durch den Verlust die reich Beschenkten und Gesegneten! Der Schmerz des Abschieds gehört bei allem dazu, was einem wertvoll war - ihn nicht zu wollen, wäre töricht, denn er ist es ja, der das Verlorene und alles, was man mit ihm erleben durfte, ganz geheimnisvoll adelt. Er ist so etwas wie

 

die KRONE der BEGEGNUNG

 

für die wir von ganzem Herzen dankbar sein dürfen.

  

P.S. Vor einigen Tagen nahm ich wieder Abschied. Nicht bloss von einem liebgewordenen Vögelchen. Während ich ihm Worte aus den Psalmen vorlas, machte sich mein Vater bereit für seine letzte Reise, vorbereitet für die Begegnung mit seinem Erfinder ... Gnade. Wie gut doch dieser Eintrag heute passt!

  

Nun bist du fort (Jürgen Werth): 

https://www.youtube.com/watch?v=65_4z0CTYYY

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