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Piep-Matz 10

Mit der Suche nach dir gaben wir noch nicht ganz auf! Wie glücklich waren wir drei, als wir dich plötzlich hoch oben auf unserem Hausdach entdeckten. Aufgeregt, munter, und wie es schien, deiner Flugtüchtigkeit noch nicht sehr vertrauend, trippelte der jüngste Weltenentdecker über die vielen Ziegel  unseres Daches hinweg! Es tat mir gut, dich da oben zu sehen und es schenkte uns allen Gelegenheit, uns  bewusst von dir verabschieden zu können, ahnend, dass dies nun die letzten gemeinsamen Minuten in unseren Leben sein würden. Schnell zog es mich ins Haus zurück, um nach meiner „Knipsmaschine“ zu greifen. Selbst wenn du auf diesen letzten Fotos nicht mehr gross und gut erkenntlich herauskommen wirst: ein paar Bilder von deinem Start hinaus in deine Eigenständigkeit wollte ich dennoch einfangen, für die ich dankbar bin. Du flogst dann plötzlich mutig mit vielversprechendem Flügelschlag  hinüber aufs grosse Dach der Schmittenscheune. Wir sahen dir lange zu, wie du fröhlich und emsig deinen Speisezettel erweitertest. Gut gelernt, Pieperchen! Einmal wagtest du dich an den Rand der Dachkante, um die lange von dir vermisste Weitsicht aus der Vogelschau zu geniessen. Dies bot mir Gelegenheit, ein Silouettenbild von dir zu knipsen, bevor wir uns dem eben angekommenen Besuch widmen wollten. Auf dieses Bild freue ich mich ganz besonders: am äussersten Rande des Daches die Umrisse jenes Vögleins im blauen Horizont, das uns verlassen will und muss, um endlich ganz Vogel, ganz sich selbst zu werden.  Ja, du bist eben keiner von uns. Aber du warst für wunderschöne 25 Tage einer mit uns – hab herzlichst Dank für so viel unbegreiflich Schönes, uns Segnendes. Flieg gut, liebes Pieperchen, fröhliche Reise durch dein Leben – und wenn du kannst, so flieg doch wieder mal bei uns vorbei. Übers Jahr vielleicht mit deiner Auserwählten und ein paar Piep-Mätzchen....? Zizi-zilipp!

 

Langsam senkt sich die Sonne. Leise, fast unmerklich folgt Frau Nacht dem voraus gegangenen Tag. Eben riss es mich vom Computerstuhl. Ich stieg die Treppe hoch, um auf dem Balkon nach  dir zu suchen, hoffend dass ganz vielleicht dein für manche Nacht vertrauter, geschützter Schlafplatz - der kleine Holzschemel unter dem Geranienstock - besetzt  wäre ...! Vergeblich! Ich rief nach dir, nach rechts, nach links, nach vorne. Nirgendwoher eine Bachstelzenantwort im Gefolge. Spürte, wie sich Tränen in den Taschen meines Herzens sammelten ...

 

Ja, ich vermisse dich und will mich ganz fest an jene Zeilen halten, die ich gerade mit Ernst und Überzeugung niedergeschrieben habe! Noch versetzt sie mir Stiche, die „Krone der Begegnung“ mit dir, wenngleich ich sie unendlich liebe. Ich weiss: Ich kann die tiefe, reichmachende Freude nicht ohne die genauso dazugehörenden Tränen haben! Das gilt wahrlich nicht nur da, wo uns ein liebgewordenes Vöglein verlässt ...

 

Mit deinem Wegflug verschwand auch meine Freude an den vielen Fliegen, die unsere Fenster bevölkerten. Sie ärgerten mich wieder wie jeden Sommer zuvor! Eine nette Kleinigkeit hellte mein Herz etwas auf: Während ich gegen die erste Traurigkeit über deinen Verlust ankämpfte, gleichzeitig auf dem Balkon nach allen Seiten nach dir rief, fiel mein Blick auf den Boden, direkt auf deine letzte Botschaft an uns: eine kleine, schneeweisse Piep-Matz-Feder! Ja, zieh aus in FRIEDEN, liebes Pieperchen!

 

Deine dankbaren Freunde 

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