... und was dann passieren kann
Neulich sass Rebellchen an einer Konferenz wieder einmal neben Frömmchen. Die beiden kennen sich gut, mögen sich gut leiden, auch wenn sie nicht immer einig sind. Ihr gegenüber hatte Helda Platz genommen. Es war Essenszeit. Sie alle genossen das ausgezeichnete Mahl. Sogar Nachtisch gab’s, den auch Leydia zu schätzen wusste. Sie sass am Nachbarstisch und kam grad vom Dessert fassen. Mit glänzenden Augen blieb sie vor Rebellchen stehen und meinte:
„Wir werden ja richtig verwöhnt heute! Bin so glücklich, dass ich auch mitkommen konnte.“
„Geht es dir besser?“, erkundigte sich Rebellchen.
„Ja, die Schmerzen sind weniger geworden, was bin ich froh. Schmerzen können einen richtig schlechte Laune machen. Manchmal werde ich total ungeniessbar dabei“, gab Leydia sympathisch lächelnd zu.
„Ja gell, Schmerzen können richtige Folterknechte sein“, entgegnete Rebellchen verständnisvoll. Leydia nickte und steuerte mit ihrer süssen Habe fröhlich ihrem Platz zu, während Frömmchen sein Rebellchen mit vielsagenden, Marronen grossen Augen fixierte.
„Was blickst du so erstaunt, ja gar entsetzt?“, erkundigte sich Rebellchen.
„Schmerzen – Folterknechte? Ungeniessbar werden? Man kann sich doch auch ein bisschen zusammen nehmen … !“ Dann wandte sie sich flugs Helda zu und fuhr fort: „Wenn ich dran denke, wie Helda über Monate mit ihren Rückenschmerzen umgegangen ist, bis die erlösende OP kam! Vorbildlich. Hat nie geklagt. War immer guten Mutes und tapfer. Niemanden hat sie als Klagemauer gebraucht.“
„Ja, ich bin in der schmerzvollen Zeit immer über der Sache gestanden, hatte kein einziges Tief“, erklärte Helda stolz. „Man darf sich einfach nicht gehen lassen. Mir ging es immer gut. Immer.“
Rebellchen schluckte leer. Eine ganze Horde Hornissen jagte jäh durch ihr Hirn. Nun weiss man’s mal wieder. Dann wurden in ihm Erinnerungen wach. Es dachte nach:
Ja, Heldas Weg war nahrhaft, lang und schmerzvoll. Rebellchen hätte es ihr von Herzen anders gewünscht. Oft, wenn Rebellchen nach Heldas Ergehen fragte, bekam es zur Antwort: „Im Herrn geht’s mir gut“, begleitet von Seufzern und einem Unterton, der zu verstehen gab, dass Helda wirklich an ihren Schmerzen litt. Dafür hatte Rebellchen volles Verständnis. Nicht unbedingt für die verbale fromme Correctness, welche dies zu verschlucken versuchte.
Zuhause, im Schutzraum ihrer Herzenswelt, fing Rebellchen mit ihrem Gott zu reden an:
„Gut Herr, dass Leydia unserem Gespräch nicht beiwohnen konnte. Tja, Helda und Frömmchen kamen heute supergut weg. Stehen gewissermassen als Glaubensheldinnen da. Leydia als Versagerin, die noch immer nicht kapiert hat, was sich für einen vorbildlichen Christenmenschen gebührt. Haben den frommen Tarif zusammen mit der Nachspeise in Klartext serviert bekommen. Und ich weiss gut, dass auch ich ihm nicht genüge, ja dass es mir lange nicht immer gelingt, mit meinem Leiden heldenhaft umzugehen. Mag sein, dass ich in den Augen vieler nicht richtig bin. Wenn ich nur auf-richtig vor Dir, Herr, bin. Bitte Heiland, schenk mir Gnade, mich nicht von den so oft gehörten „heldenhaft-fromm-richtigen“ Standards bestimmen zu lassen, und treten sie noch so oft und fordernd an mich heran. Sondern allein von Deinem Herzen. Deinem Geist. Kyrie eleison!“
Rebellchen sass an ihrem Oasenplätzchen und schaute himmelwärts.
„Und wenn ich aufrichtig vor Dir bin, Herr, dann komme ich um das Bekenntnis vieler Unzulänglichkeiten, Schmerzen und Leid, das ich auch anderen zufüge, nicht herum. Nein, dann stehen meine Schattenseiten Schlange vor Deinem Thron, weil sie sich so sehr nach Befriedung und Vergebung sehnen. Gott sei Dank gibt es diesen Thron! Dort lerne ich nah an Deinem Herzen kennen, wer und wie ich ohne Dich bin. Dann putzt Du mir gezielt und doch so liebevoll alle beziehungshemmende Schminke ab – und zeigst mir den Hoffnung bringenden Weg zu lebendigem Leben und Deinen Wasserquellen. Zeigst mir ein Leben, in dem ich nie richtig sein kann, nie richtig sein muss – wenn ich nur auf-richtig vor Dir und Deinen Menschen wandle, Herr! Das genügt. So versteh ich Dich. Und sollte ich Dich falsch verstehen, dann bitte, korrigiere mich. Für den grossen Rest kommst Du auf. Immer wieder neu. Danke Dir!
Gerade dafür gingst Du doch ans Kreuz: für alles Schiefe, Unheile, Schmerzvolle unseres Lebens. Warum nur drücken wir Frommen uns so oft mit diesen verflixten „fromm-korrekten Standards“ in die gefährliche Ecke der Unehrlichkeit oder des Schweigens? Wozu? Wem soll das dienen? – Und was machen Frömmchen und Helda bloss mit den Psalmen Davids? David, ein Mann nach Deinem Herzen, inklusive all seiner Brüche, die nicht in Ameisengrösse daher kamen. Ein Mann nach Deinem Herzen, inklusive seiner reichhaltigen Psalmendichtung. Niemand hat irgendwann seine Klagepsalmen aus dem biblischen Kontext verbannt. Niemand. Nie. David, der sich gerade darin so vorbildlich verletzlich und verletzbar zeigt. Ungeschminkt. Als König, als Mann. Da staune ich und freue mich riesig dran. Ein Mann, der glasklar zu seiner Schwäch stand. Echte Männlichkeit vor Dir! Bin Dir, mein Gott, der mir Kompass sein und bleiben soll, unbeschreiblich dankbar dafür. David ein grosser Held der Bibel und Geschichte. Mitsamt seinen Klagepsalmen, die mich schon so oft zutiefst getröstet und ebenso sehr ermutigt haben. Danke, HERR!“
Eine Frage bewegt Rebellchen sehr:
Was wollen wir Glaubensgeschwister wirklich? Wie einander begegnen? Wollen wir mit Eifer drauf bedacht sein, äusserlich „fromm korrekt“ durchs Leben zu ziehen und unser Leiden, unsere Schmerzen hinter „richtigen“ Worten verstecken – oder wollen wir an der Oberfläche des Lebens zu dem stehen lernen, was wir zutiefst und ganz ehrlich empfinden, denken, tun, auch wenn das alles andere als fromm und löblich daherkommt und in keiner Weise heldenhaft ist? Wie dienen wir einander himmelwärts? Was wollen wir wählen? Jeden Tag neu?
Rebellchen weiss, was es wählen will. Noch immer. Nichts desto Trotz. Denn es weiss auch, dass man mit dieser Wahl in der „frommen Schickeria“ dann und wann hart auf Widerstand oder Empörung stossen kann. Will es das? Ist das sein Ziel? Nein. Ist nicht zu vermeiden. Was will es denn?
Es will den Planeten Erde nicht mit der Bühne eines Schauspielhauses verwechseln. Das will es so wenig wie nur möglich. An der Seite und mit der Hilfe ihres Gottes, der auch kein Schauspieler war.
„Kyrie eleison! Amen.“
So langsam – ziehen die Hornissen in Rebellchens Hirn wieder ab - und der ersehnte SHALOM zieht ein, von Kopf bis Fuss …
Katharina Steiner, 2015
Paulus sagt dazu in 2. Korinther 12/9:
Jedes Mal sagte er (Jesus Christus): »Meine Gnade ist alles, was du brauchst. Meine Kraft zeigt sich in deiner Schwäche.« Und nun bin ich zufrieden mit meiner Schwäche, damit die Kraft von Christus durch mich wirken kann.
Song von Heiko Bräuning:
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