... das war das herausfordernde Thema der gestrigen Predigt bei uns in der Stadtmission. Eine freie evangelische Gemeinde (FEG). Ein Thema, das mich - so hoffe ich jedenfalls - lebenslang bewegen und beschäftigen wird. Denn eins ist für mich klar: In meinem Alter habe ich physisch nur noch die Möglichkeit, in die Breite oder Dünne zu wachsen. Nach oben ist schon lange schlussdibuss! Beides wird in der Heimat, aus der ich komme - im Himmel - absolut unbedeutend sein. Bedeutungsvoll jedoch wird sein, in welche Richtung sich mein Herz entwickelt hat. Grundsätzlich gibt's nur zwei Richtungen dafür. Nach oben oder nach unten. Weiterreifen oder Verdorren.
Lebenslang weiterzureifen (Rückschläge eingeschlossen), dazu bedarf es grosser Gnade. Ein waches Herz, ein williges Herz, das sich nicht scheut, zu Wachstumsschmerzen ja zu sagen, in Wüstenzeiten tapfer standzuhalten, bis der heilsame Regen wieder fällt. Mir ist das nicht möglich, ohne die fürsorgliche Hilfe von oben. Ohne Den, der mir das Leben schenkte und selbst das Leben ist. Jesus Christus.
Vor gut 30 Jahren ist mir folgendes Gedicht begegnet. Es mag sprachlich leicht antiquarisch anmuten. Dem Inhalt nach aber, so empfinde ich, ist es hingegen brandaktuell und total zeitlos.
Bist du gewachsen, Kind?
In meines Vaters Werkstatt, da weiss ich eine Tür,
die hab’ ich oft betrachtet. In stiller Andacht schier.
Da waren stufenweise, von meines Vaters Hand,
viel Strich- und Namenszeichen. Kein Fremder sie verstand.
Und hatten in der Werkstatt wir Kinder uns verirrt,
da haben wir gar fleissig die Zeichen durchstudiert.
Da konnte man dann sehen, wieviel in jedem Jahr
ein jedes Kind gewachsen. Wie wichtig uns das war!
Dann haben wir uns heimlich gemessen, das war schön!
Genau, wie wir vom Vater es haben abgesehn.
In hellem Jubel brachten der Mutter wir geschwind
alsdann die frohe Kunde, dass wir gewachsen sind.
Doch einst, als ich vor Freude der Mutter hab’ erzählt,
dass mir zur rechten Grösse nur Weniges noch fehlt,
da lächelt sie so eigen und spricht zu mir geschwind:
„An deinem innern Menschen, bist auch gewachsen, Kind?
An Alter nehmen alle wir zu von Tag zu Tag.
Dass flüchtig unser Leben, sagt jeder Glockenschlag.
Doch gilt’s, die Zeit zu nutzen, denn es ist Gnadenzeit.
Nur kurz ist unser Leben, doch lang die Ewigkeit.
Auch du bist eingepflanzet in deines Vaters Reich.
Da sollst du Früchte bringen, für’s ewge Himmelreich.
An jedem Abend richtet der Heiland leis und lind
an dich die ernste Frage: „Bist du gewachsen, Kind?“
Als ich dann gross geworden, da zog’s mich weit hinaus.
Und erst nach Jahren kehrt’ ich zurück ins Elternhaus.
Doch abends, als die andern schon längst zur Ruhe sind,
fragt’ mich die Mutter leise: „Bist du gewachsen, Kind?
Der Boden deines Herzens, ist er noch gutes Feld?
Die Saat, die einst gesäet, sag, ist sie wohlbestellt?
Bringst du nicht taube Ähren? Ach, Spreu verweht der Wind.
In deinem Glaubensleben – bist du gewachsen, Kind?“
Nun ist das Aug geschlossen, das mich so treu bewacht.
Der Mund ist still geworden, der einst so ernst gefragt.
Doch von des Grabeshügel, da rauscht der Abendwind
in weichen, ernsten Tönen: „Bist du gewachsen, Kind?“
O heiliges Vermächtnis, kostbares Mutterwort,
du sollst mich stets begleiten, mein ganzes Leben fort.
Und sollt ich träge werden, bringt mich zurecht geschwind
der Mutter ernste Frage: „Bist du gewachsen, Kind?“
Ja, HERR, lass mich stets wachsen, am Innern für und für.
Lass mich viel Früchte bringen zu Deines Namens Ehr.
Und wenn ich dann die Mutter bei Dir, HERR, wiederfind,
dann mög’ sie froh bezeugen: „Du bist gewachsen, Kind!“
Verfasser unbekannt.
Link zur Predigt "Wachsen und Reifen":
Kommentar schreiben