· 

Ein Tag voller Gegensätze

Sehr müde aber reich beschenkt mit Eindrücken aus diesem Land grosser Gegensätze sind wir heute nach unserer Tagestour nach Hause zurückgekehrt.

 

Unser erstes Ziel war der Gemüse- und Früchtemarkt in der grossen Stadt. War das eine Augenweide für mich, war ganz begeistert! Mit Leidenschaft kümmerten sich die Anbieter, die von weit herum angereist kamen, um ihre sehr ansprechenden Angebote. Ja, Rumänien ist zweifellos ein sehr fruchtbares Land. Diesbezüglich fehlt es bestimmt an nichts. Allein, die Geräte, mit denen das Land einigermassen vernünftig bearbeitet werden kann, übersteigen das Budget vieler Landbesitzer um ein Vielfaches. Dass sie ihr Gemüse und die Früchte grade mal ein bisschen teurer als gratis verkaufen (müssen) - tat mir sehr weh. Was für ein Einsatz, was für ein Aufwand, bis Kohl, Karotten, Zucchetti, Salat und vieles mehr hier auf dem Marktladentisch stehen können ...! Immer wieder fragte ich mich, wie die Rumänen ihr Leben bloss bewältigen können? Mal rein wirtschaftlich betrachtet. Stehe da vor vielen Fragen.

 

Als wir kürzlich in einem Einkaufscenter waren, das den unsrigen sehr ähnlich sieht, klärte mich weisse Lilie über den Monatslohn einer Lehrperson auf: knapp 1000 Lei pro Monat (ca. 250 SFr.). Ein Gehalt, das zu den besseren zählt. 400 bis 600 Lei seien sehr häufige Monatsgehälter. Wir waren unterwegs, um für Mama einen Wasserkocher zu kaufen. 125 Lei das Stück. Jedenfalls jenes aus Chromstahl. Auch der Staubsauger war ausgestiegen. 280 Lei. Wie ich mich in diesem rumänischen "Interdiscount" genauer umsah, fragte ich weisse Lilie dann: "Jetzt sag einmal - könnt ihr euch eigentlich einigermassen leisten, was da alles ausgestellt ist ...?" Ihre Antwort erstaunte wenig. Für die durchschnittliche Bevölkerung sei das fast nicht möglich ... Viele würden auf Kredit kaufen. Ich bekam zwar eine eindeutige Antwort - die allerdings nur 20 weitere Fragen nach sich zog! Irgendwie kamen mir die Rumänen in diesen Geschäften vor wie die Flüchtlinge bei uns in der Schweiz ... Die Demütigung aber muss besonders gross sein für ein Volk, wenn man sich m eigenen Land so fühlt. 

 

Unsere Tour ging weiter in ein kleines, armes Dorf, ca. 40 km von Sibiu entfernt. Hier arbeitet weisser Lilies beste Freundin Lavendel unter Schulkindern in einem Werk, das von Schweizern gegründet wurde. Die Arbeit nennt sich "after-school-training". Lavendel und weitere Mitarbeiter nehmen sich nach der täglichen Schulzeit mit viel Engagement den dörflichen Schülern an, von denen die meisten nichts anderes kennengelernt haben, als eben ihr Dorf und die umliegenden Felder. Nach der Schule dürfen die Kinder zum "after-School-Training" kommen, wo sie Aufgabenhilfe und Vertiefung des Lernstoffes erfahren. Zuwendung natürlich auch, was wohl das Wichtigste auch fürs Lernen ist. Ziel: auch Kinder aus diesen sehr ärmlichen Verhältnissen sollen menschenwürdige Schul- und Berufs-Chancen bekommen.

 

Von Lavendels Herzblut und Ausharren an diesem Ort, in diesem völlig unfertigen Schulhaus, das zuhause als Baustelle gälte, war und bin ich tief beeindruckt. Sieben Jahre steht sie schon in dieser Arbeit. Obwohl es am Nötigsten fehlt, auch was das Schulmaterial betrifft. Im Winter trägt man wohl besser zwei Faserpelze überm Pullover, wenn man das Zähneklappern vermeiden will. Lavendels Herz schlägt zuerst für Gott und dann genauso für diese Kinder, denen sie im Blick auf ihre Zukunft einfach herzhaft beistehen möchte. Doch, es sei ein täglicher Kampf, gestand sie ohne Umschweife, diese Arbeit mit Freude und Mut zu verrichten. Wie gut ich das verstehen kann ...

 

Unsere letzte Station führte uns zurück in die Stadt. In ein Gebiet etwas ausserhalb, in dem lauter neue Häuser entstanden sind und weiter entstehen. Wir besuchten weisser Lilies Mutter, die hier in einer rumänischen Familie ihrer Arbeit in deren Haushalt nachgeht. Wir wurden zum Nachtessen eingeladen.

 

Schon beim Hineinfahren in dieses Gebiet dachte ich: "Jetzt verlassen wir Rumänien." Und dieses Gefühl verliess mich während des ganzen Besuchs nicht mehr. War mir sehr unwohl. Das Ehepaar erzählte aus ihrem Beruf, der sie übermässig beschäftigt und in Anspruch nimmt. So, dass ihre beiden kleinen Kinder weiter südlich von den Grosseltern aufgezogen werden müssen. In ihrem Haus, das überall ganz westeuropäisch daherkommt, scheint es an nichts, was Komfort betrifft, zu fehlen. Doch der Preis, den sie dafür bezahlen, ist wohl unbegreiflich hoch. Krasser Gegensatz zum Besuch im armen Dorf! Die Seele bringt's auf keine Reihe. Jedenfalls meine nicht. - Hand aufs Herz: Zahlen wir Westeuropäer nicht auch einen viel zu hohen Preis für unseren Wohstand? Arbeiten wir nicht auch zuviel? Auf wessen Kosten?

 

Immer wieder stehe ich vor der selben Frage - nicht erst, seit ich wieder einmal in Rumänien bin. Doch hier begleitet sie mich Tag für Tag:

 

WIEVIEL WOHLSTAND ERTRÄGT DER MENSCH? ICH?

 

Habe viel darüber nachgedacht in den vergangenen Tagen. Und ganz sicher lässt sich auch diese Frage nicht pauschal beantworten. Es schent mir aber, dass ich einen hilfreichen "Schlüssel" dafür gefunden:

 

SOBALD UNSERE BEZIEHUNGEN, JENE ZU GOTT UND DIE ZU UNSEREN MENSCHEN, ZU LEIDEN BEGINNEN, HABEN WIR DIE VERKRAFTBARE GRENZE VERMUTLICH BEREITS ÜBERSCHRITTEN. 

 

Gerade kam Muma, die Grossmutter des Hauses in mein Zimmer. Sie wolle mir etwas schenken, erklärte mir weisse Lilie. Strahlend streckte sie mir zwei nigelnagelneue Unterhosen, eine schwarze und eine rote, entgegen und meinte, ich solle eine auswählen. Rot war die Farbe meiner Wahl. Einfach allerliebst, eine Unterhose von Muma. Grösse XXL, wie ich gerade sah ... Lautes Lachen. SOVIEL WOHLSTAND ERTRAG ICH GANZ BESTIMMT! Eine Unterhose auf Vorrat - für Zeiten, in denen mein Po einem Ofenküchlein gleich in die Breite gegangen ist. Was für ein herrliches Schlussbouquet dieses spannungsvollen Tages! Ach Gott, Du hast doch einfach obergoldigen Humor!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0