Die Tage, die ich hier in Rumänien verbringe, sind sehr eindrücklich und dicht gefüllt mit Erlebnissen und Erfahrungen; äusserlich und innerlich. Ich begreife immer besser, dass Gott viele Gründe hat, mich für einige Tage zusammen mit weisser Lilie zurück ins Heimatland unserer Söhne zu schicken. Nicht allein Gründe, die unsere Familiengeschichte betreffen. Alle Seine Gründe werd ich nicht erkennen können. Jene aber, die Er mich erkennen lässt, segnen mich reich. Selbst das kleine Detail, an der Geburtsklinik vorbeigekommen zu sein, in der einer unserer Söhne zur Welt gekommen ist, erfahre ich als Segen in meinem Herzen. Ein Stück seiner Lebensgeschichte, das mir bisher fehlte. Nun hat sich diese Lücke geschlossen. Gnade.
Bin sehr dankbar, dass ich vieles, was zu weisser Lilies Geschichte zählt, vor Ort und in Beziehung zu allen Familienmitgliedern und Freundinnen mitbekomme. Es erweitert meinen Horizont und ich stehe in der bevorzugten Position des Aussenblicks, der, so scheint es mir, allen hier irgendwie dient. Ja, wir führen viele sehr offene Gespräche und mein Herz schlägt für alle, verstehe jede und jeden auf seine - und so hoffe ich, auf Seine - Weise. Oft lachen wir herzhaft, dann wieder weinen wir zusammen. Immer aber aufgefangen von Gottes Güte.
Es war mir immer sonnenklar, dass weisse Lilie hier zuhause überaus vermisst wird. Dass sie eine grosse Lücke hinterlässt, was auch wehtut. War mit ein Grund, weshalb es für mich ein Bedürfnis war mitzureisen, als weisse Lilie mich fragte, ob ich nicht auch mitkommen möchte? Ihre Eltern sollten Gelegenheit bekommen, vorerst mal eine Person des Ehepaars kennenzulernen, bei dem ihre Tochter seit einem halben Jahr lebt wie ein Familienmitglied. Echt ein Segen für uns alle. Es wird ihr Leben lang so sein: Wo weisse Lilie war und nicht mehr ist, hinterlässt sie eine schmerzlich grosse Lücke. Auf sie ist Verlass. Sie ist sehr engagiert und hat genauso viel Herz. Sie freizugeben für Gottes Weg mit ihr, erfordert ein grosses Herz und eine hohe Bereitschaft zum Verzicht auf alles, womit weisse Lilie die Menschen segnet und beschenkt. Das sind nicht gerade unsere menschlichen Stärken.
Ja, vieles vor Ort mitzubekommen, was zum Leben und zur Geschichte von weisser Lilie zählt, ist so ein Segen für mich und unseren weiteren gemeinsamen Weg. Alles, was ich bisher nur vom Hörensagen her kannte, ist soviel lebendiger geworden durch diese kurze Reise. - Der Tag wird kommen, an dem weisse Lilie auch uns einmal verlassen wird. Aber vieles an inneren Schätzen, die wir durch sie erfahren, wird bleiben ... Gnade, für die ich dankbar bin.
Der vorgestrige Nachmittag war eine seltene Kostbarkeit für uns. weisse Lilie "entführte" mich zu jenem sächsischen Pfarrer im Dorf, von dem sie mir zuhause schon viel erzählt hat, bei dem sie ab 12 auch eine ganz neue Welt und Kultur kennenlernte, die sie von Anfang an faszinierte und auch mitprägte. Nach diesem einen gemeinsamen Nachmittag wuchs in mir ein noch tieferes Verständnis dafür. Es war eine sehr besondere, wertvolle Begegnung. Zum Schluss des Gesprächs meinte der betagte Pfarrer, vieles, was ich ihm aus meiner Geschichte erzählt habe, berühre manches in ihm, führe ihn weiter. Da kann ich nur sagen: "Danke, HERR!"
Schliesslich wollte er mit uns auf der Höhe des Tages noch für eine kleine Andacht in seine Kirche gehen. Jene Kirche, in der er noch immer Sonntag für Sonntag Gottesdienst hält, obwohl selten jemand von aussen dazustösst. Unglaublich. Denn die Sachsen haben dieses kleine Dorf längst verlassen. Kann nicht beschreiben, was für ein Segen diese Andacht war! Eine Andacht mit Liturgie nur für uns drei. Und ein persönlicher Segen für jede von uns beiden. Kniend. Ergreifend. Ergreifend auch das Thema seiner Andacht - in die er so manches bewegend einfliessen liess (und mit persönlichen Erinnerungen ergänzte), was ihm im Gespräch mit uns tiefer bewusst geworden und ihn, wie er sagte, sehr gesegnet habe ... Danke HERR. Das Hauptthema der Andacht war:
- unsere Tränen
- wohin weinen wir sie
- am besten in die Vaterhände Gottes
- und das Geheimnis, dass Gott unsere Tränen in Wunderbares verwandeln kann - zu Seiner Zeit
Dieser beeindruckende Pfarrer hat zwei Jahre Gefängnis im Kommunismus erlebt/durchlitten ... Erst mit 45 wurde er Pfarrer.
Gestern war ich allein mit weisser Lilie unterwegs. Erlebte wieder einmal die Zähflüssigkeit rumänischer Bürokratie, bei der einem nichts anderes übrigbleibt, als sich eisern in Geduld zu üben ... Zum Glück stellten wir diesen unschönen Teil des Tages an den Anfang unserer Unternehmung. Danach freuten wir uns darauf, Freunden von Freunden aus der Schweiz ein kleines Präsent zu überbringen. Die Dame des Hauses lud uns beide grad noch zu einer wohltuenden Fussmassage ein, während der es zu sehr persönlichen Gesprächen über unsere Leben kam. Fussmassage ist ein Teil ihrer Arbeit, die sie mit Leidenschaft tut. Ich staune, wie schnell ich mit den Rumänen ins ganz persönliche Gespräch komme und wir gegenseitig herzhaft Leben teilen. Wie ich das liebe Dann habe ich jeweils das tiefe Empfinden, wirklich zu leben ... Sinnerfüllt.
Nachdem wir gemeinsam den Theatersaal bestaunten, in dem weisse Lilie ihren Berufsabschluss feiern durfte, hatten wir Hunger. Das Theater-Restaurant entsprach ganz unserem Geschmack, ebenso das leichte Menu, das wir schliesslich ausgesucht hatten. Obwohl beim "Salat mit Pilzen" zwar die Pilze fehlten. Dem Chef des Hauses war das gar nicht recht. Die Pilze seien nicht mehr "salonfähig" gewesen, meinte er. Dafür spendierte er uns beiden dann ein köstliches Dessert. Auch gut - und vor allem zuvorkommend.
Nun steuerten wir einem Turm beim grossen Platz der Stadt zu, den man besteigen kann. Was für eine Sicht man von dort oben über ganz Sibiu und die weitere Umgebung hatte! Ja, weisse Lilie war die beste Reseleiterin, die ich mir wünschen konnte. Zu ihrer grossen Freude war die grosse Brukenthal-Kirche, die sie schon lange gern von innen bestaunt hätte, nun endlich zugänglich für interessierte Besucher. Und so verbrachten wir die nächste halbe Stunde in diesem beeindruckenden gothischen Bauwerk, bevor wir einen letzten Besuch bei zwei Freundinnen von weisser Lilie machten. Die beiden teilen sich nicht nur die Wohnung, in der auch die Mutter der einen jungen Frau mitwohnt. Sie teilen sich auch das Zimmer - und wenn Besuch da ist, der ein Bett braucht, teilen sie sich in einer Selbstverständlichkeit auch das Bett.
Etwas beschäftigt meinen Geist seit drei Tagen oft, wenn ich über Rumänien nachdenke: neuer Wein in alten Schläuchen. Irgendwie so kommt mir manches vor hier. Und das funktioniert letztlich sehr schlecht. Woher allerdings die neuen Schläuche nehmen? Keine Ahnung. Das muss ich Gott und Seinen Möglichkeiten überlassen.
Wie auch immer es in diesem leidgeprüften Land weitergehen wird - weisse Lilie und ich werden heute Abend reich beschenkt wieder schweizwärts fliegen, wo Gefährte uns mit Freude erwartet.
Wie berührend, die Tageslosungen von gestern! Die tiefe Sehnsucht für meine Lebensgestaltung:
Fürchte dich nicht und verzage nicht
Josua 8/1
Kämpfe den guten Kampf des Glaubens!
1. Timotheus 6/12
Ich wünsche dir, dass du erfahren mögest, dass alles, woran du gelitten hast, nicht vergeblich gewesen ist, und dass dir Kräfte zuwachsen, deine Begabungen zu entfalten und die Beziehungen zu Menschen heilvoll und fruchtbar zu gestalten.
Christa Spilling-Nöker
Dies wünsche ich nicht allein mir - ich wünsche es jedem Leser von ganzem Herzen, der hier vorbeikommt.
Kommentar schreiben