Ein nicht gerade geglücktes Gespräch liegt hinter mir, das mich zum Nachdenken anregt. Auf zwei Seiten gab es Verletzte. Ich habe meinen Teil daran. Muss wohl noch besser lernen, wie ich bei wem kritische Gedanken anbringe. Einmal mehr sass ich in diesem Gespräch inklusive meiner Emotionen da, während mein Gegenüber mehr auf der Seite der Sachlichkeit Platz nahm. Vermutlich typisch weiblich/männliche Tendenzen. Meine Emotionalität schien meinem männlichen Gegenüber Mühe zu bereiten.
Nun, nirgends wo ich bin, nichts, was ich tue, bin oder tue ich abgekoppelt von meinen Emotionen. Nein, ich bin nicht nur Emotion. Aber die Regungen des Herzens sind überall mit dabei, wo ich auch bin. Das ist schön und manchmal auch schwer oder schwierig. Nicht allein für mich. So erlebte ich es auch heute. Je nachdem, ob es sich um erfreuliche oder enttäuschte Emotionen handelt, fühlt es sich beflügelnd oder halt beschwerlich an. Beides ist nun mal reales Leben.
„Du kannst die Enttäuschung nicht wegstecken“, meinte mein Gegenüber, „sie steht dir ins Gesicht geschrieben.“
Wusste zuerst nicht, was ich mit dieser Äusserung tun soll, wie sie verstehen? Ist es etwas Negatives, wenn Emotionen für andere erkennbar sind? Kann nicht sagen, damit nur angenehme Erfahrungen zu machen. Doch wer macht das schon. Egal, ob er zu den eher sachlichen oder zu den tendenziell emotionalen Typen zählt. Wird hier erwartet oder gewünscht, dass ich meine Emotionen unter den Kleidern von Sachlichkeit verberge, damit die wahren Regungen des Herzens nicht erkennbar und damit vielleicht auch nicht belastend sind? Das führt mich zur nächsten Frage: Bin ich Hülle, Schale - oder bin ich Kern? Und: Was will ich sein? In Beziehung zu Gott genauso, wie im Kontakt zu Menschen.
Ich erinnere mich an meine Gedanken nach meines Gegenübers Feststellung:
„Enttäuschung wegstecken, so tun als ob alles in bester Ordnung wäre? Fassade malen – wozu?“
Ist nicht Jesus Christus der, der manchen Menschen – bestimmt auf viel weisere Art, als wir Menschen es dann und wann zu tun versuchen – ihre Fassaden bewusst gemacht hat, damit zum Vorschein kommen konnte, was sich dahinter verbirgt? Das wahre Gesicht. Der eigentliche Kern des Menschen. Der Mensch ohne Gerüst, Schnörkel und Verzierung. Wozu dann einen Umweg über die Fassade machen, wenn dieser vermutlich ein Holzweg ist?
Ich finde es wichtig, dass Sachlichkeit und Emotionaliät Freunde werden. Innerhalb ein und derselben Person. Beides brauche ich. Oft gleichzeitig. Gelingt mir nicht immer. Zum Beispiel heute. Was ich jedoch bedaure ist zu beobachten, dass wir Westeuropäer - vornehmlich im deutschsprachigen Raum - die Neigung haben, Sachlichkeit und Sachlichsein als erstrebenswerte, vielgelobte Stärken des Menschen zu deklarieren. Emotionalität und emotional sein hingegen vielmehr mit Schwachsein und „das Gesicht verlieren“ verbinden, wo wir doch eigentlich nur die Fassade abbrechen. Es ist mir tatsächlich noch nie begegnet, dass der viel gehörte Satz "Du bist so emotional" als Kompliment gedacht war. Nein, Kopf kommt vor Herz. So jedenfalls kommt es mir immer wieder entgegen. Ist nicht mein Verständnis. Ich verbinde Stärke schon lange mit der Fähigkeit, Schwäche ohne Umschweif zulassen und zugeben, Emotionen zeigen zu können. Auch darin ist mir Jesus Christus ein Vorbild. Er liess sogar grösste Schwäche zu, ohne de facto wirklich schwach zu sein ... Damit ich leben kann. Ewig. Ich denke an seine bejahte Lammes-Schwäche am Kreuz von Golgatha - obwohl er gleichzeitig Löwe war und noch immer ist.
Folgendes könnte ein bestätigender Hinweis darauf sein, dass dem, was ich im obigen Abschnitt beschrieb, landläufig noch immer so ist:
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Menschen, die eine körperliche Krankheit haben, ohne Mühe andern Menschen berichten, dass sie z.B. wegen eines künstlichen Hüftgelenks für einige Zeit ins Krankenhaus müssen. Eine recht sachliche Angelegenheit, die volle Akzeptanz geniesst in unserer Gesellschaft. Sobald es sich aber um eine seelische Grenzerfahrung handelt, kämpfen noch viele Menschen mit Transparenz, weil seelische Krankheiten bis heute tendenziell als Schwäche ausgelegt werden. Seelische Krankheit, akzeptiert in unserer Gesellschaft? Nein, so weit sind wir noch nicht. Nur hoffentlich nicht zu denen gehören, die der Seele wegen Hilfe brauchen … Das Leben mit all seinen Aufs und Abs lieber nicht zu nahe an sich rankommen lassen, sonst könnte die eigene Seele plötzlich doch noch flach liegen. Zu kompliziert, zu kraftaufwändig, zu zeitintensiv. Zu nah am Herzen. Lieber den Kopf-Knopfdruck betätigen. Woher für eine geschwächte Seele noch Zeit und Kraft hernehmen? Versteh' ich in gewisser Weise schon. Viele von uns leben mit sehr vollem Terminkalender, der dikitiert, dass der Kopf über dem Herzen zu stehen hat (meine das nicht geografisch), wenn das alles bewältigt werden will. Da kommt man mit Sachlichkeit und Nüchternheit doch viel besser über die vielschichtigen Runden des Lebens. Wirklich? Bin mir beim näheren Hinschauen nicht sicher. Wann fühle ich mich am lebendigsten? Dann, wenn ich einen Tag voll sachlicher, erfreulicher Gespräche geführt habe? Oder dann, wenn manches, was mich umgibt und zu meinem Leben gehört, mich in der Tiefe des Herzens bewegen und berühren darf? Gut möglich, dass Menschen unterschiedlich Antwort geben.
Meine zählt zur zeitintensiven und kraftaufwändigen - aber auch sehr reichen Sorte ... Das ist dann und wann eine Zumutung für mein Umfeld. Jedenfalls im Land meiner Geburt.
Das nicht geglückte Gespräch hat mich auf ein paar spannende Gedanken geführt. Wertvoll. Gleichwohl gebe ich zu, dass ich lieber froher und unverletzter nach Hause gefahren wäre, als es heute der Fall war. Auch lieber nicht verletzt hätte ...
Gerade kamen mir untenstehende Worte von Jesus Christus aufs Herz. Ich suchte sie im Netz und bin nach dem ersten "Klick" bei einer Betrachtung von Charles H. Spurgeon gelandet (Erweckungsprediger um 1860 in London), die mich gesund herausfordert.
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft!« Dies ist das erste Gebot. Und das zweite ist [ihm] vergleichbar, nämlich dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!« Größer als diese ist kein anderes Gebot.
Markus 12/30-31 (Schlachter)
Nachdenkenswert, was Charles H. Spurgeon dazu schreibt:
Für viele ist es eitel Freude und Wonne, ein beschauliches Leben zu führen. Sie glauben an den Vater, an den Sohn, an den Heiligen Geist. Mit grossem Wohlgefallen erfreuen sie sich an den Offenbarungen und Erzählungen des Wortes Gottes. Sie denken über Gott und göttliche Dinge nach; er ist für sie ein Gegenstand des Studiums. Sie haben richtige Glaubensüberzeugungen, sind streng orthodox und wissen in allem Bescheid, können über Glaubensartikel streiten und sich über göttliche Dinge ereifern. Aber ach, ihre Religion ist wie ein toter Fisch, kalt und steif. Es ist kein Leben darin. Betrachten können sie wohl, aber nicht lieben; sie können wohl nachdenken, aber keine Gemeinschaft pflegen. Sie können an Gott denken, vermögen aber nicht, ihn zu lieben. Oh, ihr kaltblütigen Denker, an euch richtet sich dieses Gebot.
Da mag jemand aufstehen und sagen: "Recht haben Sie, aber mich trifft dieser Vorwurf nicht. Ich gehe jeden Sonntag zweimal zum Haus Gottes, ich halte meine Hausandacht mit meiner Familie, ich achte sehr darauf, jeden Morgen mein Gebet zu verrichten und in meiner Bibel zu lesen."
Sehr gut, mein Freund, und doch kannst du das alles tun, ohne Gott zu lieben. Ja, manche von euch gehen in die Predigt oder Gebetsversammlung wie ein Pferd, das man in die Schwemme reitet. Ihr wagt es nicht, den Sonntag zu entheiligen, aber ihr würdet es tun, wenn ihr könntet. Ihr steht unter einem Pflichtgefühl, aber ihr fühlt euch dabei nicht wohl. Euer Herz schlägt nicht schneller, wenn der Name des Herrn Jesus fällt; eure Seele fühlt sich bei der Betrachtung seiner Werke nicht erhoben, denn euer Herz ist ganz unbeteiligt, und während ihr Gott mit euren Lippen ehrt, ist euer Herz fern von ihm.
Autor: Charles H. Spurgeon
Quelle: Auf dein Wort
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