Hab ja keine Ahnung, wie es auch noch sein kann, das Leben! Dies wird mir je länger je deutlicher bewusst, seit Gefährte und ich erneut mit unterschiedlichen Fremdlingen unterwegs sind. Es fing bei uns mit den Rumänen an, bei denen ich, was Herz-Steuerung (im Vergleich zur westeuropäischen Kopf-Steuerung, der Tendenz nach jedenfalls) betrifft, bereits vor 25 Jahren einiges kennengelernt und Gott sei Dank dazu gelernt habe. Damals, als wir dabei waren, den ersten Fremdling in unser Haus und Herz aufzunehmen.
Inzwischen ist unsere kunterbunte Jungmannschaft ausgeflogen und wir sind in näherem Kontakt zu Afrikanern und Afghanen. Im Deutschkurs, den ich den Flüchtlingen mit Freude erteile, gesellen sich noch viel mehr Nationen zu meinem sich erweiternden Horizont dazu. Eindrücklich. Abdrücklich. Und immer wieder betroffen machend. Was für krasse Gegensätze, ihre Lebenswelten im Vergleich zur westeuropäischen Zivilisation, in die ich hinein geboren wurde! Unverdient. Auch wenn unser Leben auch seine schmerzvollen Härten und Tiefen hatte und hat - im Vergleich zu dem, was mir die Fremdinge aus ihrem gewohnten Alltag berichten, lebe ich königlich. Realisiere ich das wirklich klar genug? Ist mein Herz von Dankbarkeit erfüllt, wenn ich täglich so mühelos an den Tisch sitzen, mich von vielen herrlichen Gaben stärken und abends wie selbstverständlich in ein bequemes Bett steigen kann? Dusche mit fliessend kalt und warm Wasser - à discrétion - noch gar nicht erwähnt ... Oder ist mir das alles selbstverständlich, wo des doch reine GNADE ist?! Nein, in unserem Hausteil leben nicht zwei Familien zusammen. Obwohl dazu ohne Zweifel viel mehr Raum zur Verfügung stünde, als dies bei den beiden slowakischen Brüdern der Fall ist, denen ich letzten Freitag "zufällig" begegnet bin ... Mitten in der Stadt. Das kam so:
Sister, meine kenjanische Freundin und ich planten für Freitag das zweite Strassensingen in unserer Stadt. Nicht ohne zu üben natürlich. Mein Schrumm-Schrumm auf der Gitarre ist gerade ausreichend genug, um auch musikalisch begleiten zu können. Okay, Musiker denken bestimmt anders darüber. Nein, nein, solche Einsätze darf man nicht ohne Polizeibewiligung wagen. Hat alles seine Ordnung hier in der Schweiz. So begaben wir uns morgens um Neun zum örtlichen Polizeiposten, wo bereits zwei fremdländische Männer, die etwas Deutsch sprachen, mit dem selben Anliegen warteten: Strassenmusik! Wir kamen schnell und locker ins Gespräch. Klar, über das Wetter, das nicht so toll vorhergesagt war.
"Ab 14 Uhr soll es regnen, laut Wetterbericht", erklärte ich ihnen. "Aber ja, Gott ist noch einiges möglich, wir können dafür beten, dass die Wolken sich verziehen!"
"Ah, ihr beten? Halleluja! Wir evangelisch. Und ihr?", wollte L. nun wissen. "Wir auch", entgegnete ich. "Hallelluja! Dann wir Brüder und Schwestern", meinte L. und strahlte uns an, als hätte just jemand zwei Sterne in seine Augen gesetzt. Das fing ja cool an heute Morgen! Und bald war auf dem Tisch, dass diese beiden Männer Brüder aus der Slowakei sind. Ungarisch sprechend, einer Minderheit zugehörig. Verheiratet, Familienväter und genau wie wir ein Bekenntnis zu Jesus Christus haben! Na, dann wird die Strassenmusik für einmal in den Händen von lauter Christen sein. Hat mich sehr berührt und gefreut. L. und B. erzählten, dass sie heute Morgen früh in unserer Stadt angekommen seien, länger nicht mehr in die Schweiz fahren konnten, da ein Onkel schwer krank und schliesslich kürzlich verstorben sei. In der Regel seien sie stets für drei, vier Wochen in der Schweiz, um als Strassenmusikanten ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dann würden sie jeweils für zwei, drei Monate zurück zu ihren Familien fahren, um schliesslich wieder von vorn zu beginnen. Der Arbeitsmarkt in der Slowakei sei katastrophal. Und deshalb nehmen die beiden in Kauf, alle zwei, drei Monate 1400 km per Auto für Strassenmusik in die Schweiz zu fahren ... Mir stockte der Atem.
Was muss das für eine Alltagsnot sein, wenn man solches auf sich nimmt, um für die eigene Familie sorgen zu können ... ?
Bald war es Zeit, im Polizeibüro die Tagesbewilligung zu beantragen. L. und B. wollten je alleine spielen, also brauchte es auch zwei Bewilligungen für sie - was sie 2 x 20.00 SFr. kostete. Phuu, diese Batzen, das war mir klar, würde ich ihnen dann in ihre Hüte legen, damit sie den Tag wirtschaftlich nicht im Minus beginnen mussten. Das hätte ich nicht ausgehalten. 20 SFr. sind für sie im Vergleich zu mir ein Vermögen! Sister und ich wurden einig, dass wir das, was allenfalls uns von Passanten zugesteckt werden würde, dann an die beiden Brüder gehen sollte. Und so machten wir es.
Schliesslich verabschiedeten wir uns für den Morgen voneinander und jeder ging seines Weges, sehr gespannt, was wir alle heute auf der Strasse erleben würden.
Es geht bald weiter im Text! Nach dem Kronenbild. Bei uns kommt jetzt die sonntägliche - und wohl königliche - "Zvieri-Zeit" dran ...
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