Herrlich war der Kuchen, den ich gestern kredenzt habe. Mit dem Johannisbeersegen aus unserem Garten. Unterdessen ist Sister bei uns angekommen. Wir sitzen befriedet im Strandkorb, draussen in unserem kleinen "Garten Eden". Sister liest gerade in einer Kinderbibel und freut sich mächtig, dass sie das einfache Deutsch darin bestens versteht. Ich denke dem Freitag nach - und den slowakischen Brüdern ...
Die Morgenstunden in den Strassen unserer Stadt verflogen schnell. Es hatte nur mässig Volk, das unterwegs war. Dennoch war es für Sister und mich eine Freude, zusammen von dem zu singen, was unser Herz erfüllt und innerlich reich macht. Manche Menschen blieben stehen und hörten von etwas abseits zu. Einige suchten einen Hut, in den sie gerne Batzen legten, was nicht unsere Absicht war. Weswegen der Hut auch fehlte Lautes Lachen. Eine Frau kam auf uns zu, die von einer Café-Terrasse aus unserem kleinen Konzert aufmerksam zugehört hatte und einfach nur Freude hatte an unserer Idee. Bestimmt sangen wir nicht jedem Passanten zur Freude, doch wir staunten, wie viele unser Singen schätzten. Sogar die Polizistin auf dem Büro war angetan von unserer Idee und meinte: "So schön, sie wollen zusammen singen? Endlich wieder mal was Anderes in der Stadt." Dann und wann trafen wir bekannte Gesichter an, was eine Ermutigung war.
Dann kam die Mittagszeit. Pause von 12.00 bis 13.30 Uhr. Ideal, um Zeit mit unseren slowakischen Geschwistern zu verbringen. Wir setzten uns mit Lunch und genügend Getränk auf eine Bank und teilten Leben. Auch Essen. Das sei kein guter Morgen gewesen für sie, erzählten die beiden Brüder etwas gedämpft. Wenig Leute. Tja, für sie ging es um den Lebensunterhalt ihrer Familien - während Sister und ich einfach aus Freude auf der Strasse sein konnten. Was für ein gewaltiger Unterschied!
Sister und mir war bald klar, dass es ein perfekter Plan von oben war, ausgerechnet freitags auf die Strasse zu gehen. Wir sollten L. und B. und einiges aus ihrem Leben, auch bestimmte aktuelle Nöte, kennenlernen und dasein für sie. Letztes Jahr z.B. hatte ein heftiger Sturm das Haus von L. zerstört. Dies der Grund, weshalb L. seither mit seiner Familie (Frau und drei Kinder) bei Bruder B. mit Frau und Tochter im selben Haus lebt. Auch wenn wir in einer speziellen Not geschwisterlich beherzt Hand reichen konnten, waren nicht allein sie die Begünsteten. L. und B. beschenkten uns reichlich mit ihrer erstaunlichen Zufriedenheit, Demut und Dennoch-Dankbarkeit, die ein Westeuropäer schlecht fassen, geschweige denn begreifen kann, angesichts so vieler Not. Manche von uns lernen nicht einen Zehntel davon kennen. Gottvertrauen und erstaunliche Lebenskraft, ja davon haben sie wahrlich mehr, als wir verwöhnten Schweizer. Hat uns sehr berührt. Auch auf konstruktive Weise nachdenklich gemacht und herausgefordet. Ihre wertvollen Geschenke an uns! Ohne Zweifel. Nun gut, Sister aus Kenja kennt ihre Not einiges besser, näher als ich wohlbehütetes Schweizerkind ...
Ich lud die beiden zu uns zum Nachtessen ein. Sie strahlten und erklärten, dass aber auch noch ihr Vater auf 18.00 Uhr in die Stadt kommen werde. Er sei selten dabei, aber diesmal habe er mit in die Schweiz fahren wollen. Ob er nach dem Verlust seines jüngst verstorbenen Bruders etwas Abstand zur heimatlichen Geschichte brauchte? Nun, auch für den Vater war noch Platz an unserem Tisch. So bereitete ich Gefährte kurz per Handy auf diesen besonderen Abend vor, damit er nicht aus allen Wolken fallen würde, wenn er dann nach Hause kam. Und das war bestens so.
Der nächste Besuch trifft ein: Pflegetochter 1 mit zwei ihrer drei Söhne kommt für drei Tage zu uns. Es ist also nochmals eine Schreibpause hier ...
Gefährte fiel dann doch aus allen Wolken. Nicht, weil ihm die Einladung querlag. Vielmehr im Angesicht dessen, was sie bei ihm auslöste: nachhaltige Betroffenheit. So anders kann Leben auch sein. Gerne hätten die drei samstags irgendwelche Gartenarbeiten oder sonst was Handwerkliches in Angriff genommen. Für zwei, drei Stunden hätten wir im Garten zu tun gehabt, doch das reichte nicht aus für ein Tagewerk für sie. So telefonierte ich noch verschiedenen Bekannten im Dorf und Umgebung, doch niemand hatte Arbeit, die grad verrichtet werden musste. Deshalb entschied das Trio, wie ursprünglich geplant, bernwärts zu fahren, wo sie für Samstag den nächsten Strassenmusik-Einsatz geplant hatten. Gerne hätte ich ihnen noch eine Dusche und am liebsten ein Bett angeboten. Doch das ging aus rein praktischen Gründen nicht auf. Sie mussten und wollten sich am Vorabend verschieben, damit sie dann am neuen Morgen ohne Stress auf dem nächsten Polizeiposten antreten und vorher noch etwas schlafen konnten. Im Auto natürlich, da jede noch so günstige Herberge ihr Budget sprengen würde. Auf dem Polizeiposten erscheinen - und hoffen, eine Bewilligung zu bekommen. Das war der nächste Programmpunkt, und an jedem Tag ein neues Risiko. Denn die Bewilligungen sind überall auf eine bestimmte Anzahl/Tag beschränkt. Die Tatsache, dass in allen Schweizer Städten es so geregelt ist, dass man nur einmal pro Woche in der selben Stadt musizieren darf, macht unseren Slowaken das Leben auch nicht leichter. Können nicht anders, als immer auf Achse sein, von einer Stadt zur andern. Wenn ich da allein an den Benzinverbrauch denke ... Wie das nur alles aufgehen soll? Nun, die Erfahrung haben sie. Ich bin nur nachdenklich über dem, was ich jüngst erlebt und erfahren habe ...
So anders kann Leben auch noch sein. Kyrie eleison! Nicht nur über L. und B. - auch wir verwöhnten Kinder haben dieses Erbarmen sehr nötig, Einfach ganz anders, als unsere slowakischen Brüder. Kopf lass nach - Herz wach auf!
Song von Andi Weiss: Dass dir der Himmel offen steht
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