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Krönender Abschluss

Heute wäre es mir hin und wieder ganz recht, der August hätte nur 30 Tage. Dann wäre es nämlich morgen bereits 1. September – und Gefährte, mein Mann, würde im Flughafen Kloten wohl mit viel Vorfreude und allerliebster Ungeduld auf mich warten – und ich mich herzlich auf ihn freuen. Nun aber hat der August seit hunderten von Jahren 31 Tage – also heisst es eben: einen Tag länger aufs Wiedersehen warten ...

 

Andrerseits ist es so ein Geschenk, gerade heute noch einen völlig ruhigen, aktionslosen Tag im „Land of Hope“ von "Vision for Africa" verbringen zu dürfen. Denn gestern kam ich gar nicht nach mit Schätzen sammeln! Nun habe ich Zeit zu verarbeiten und mich ganz tief an diesen Schätzen zu freuen – und hoffentlich mit diesem Eintrag etwas davon weiterverschenken zu können.

 

Ja, das war ein unvergesslicher, wunderschöner Tag meines Lebens, der Tag, an dem ich meine beiden afrikanischen Patentöchter und ihre beiden Familien kennenlernen durfte. Segen pur, für viele Menschen. Auch für Annette, die Verantwortliche von „Compassion“, die unseren Fahrer Josef von „Vision for Africa“ und mich durch den ganzen Tag geleitet hat. Sie bekamen das ganze, frohe Abenteuer mit. Annette hat das supertoll und liebevoll gemacht! Und Josef lernte ich als sehr versierten Fahrer auf teilweise sehr unwegsamen Strassen kennen, die zum Schluss nicht viel breiter als der Wagen waren. Auf sehr unebenem Untergrund. Es dauerte eine gute Stunde Fahrt, bis wir auf dem Areal von „Compassion“ angekommen waren. Eine ganz tolle Stunde des gemeinsamen Gesprächs wurde uns dadurch geschenkt. Ich erzählte den beiden Afrikanern unter anderem, wie ich die persönliche Beziehung der afrikanischen Christen wahrgenommen habe: „Der Glaube von euch Afrikanern geht von eurem Herzen direkt ins Herz von Jesus Christus.“ „Das ist doch normal“, sagten sie und lachten liebevoll, als würde ich gerade versuchen, das Ei des Kolumbus zu erfinden. Dann erzählte ich ihnen von unserer Normalität zuhause, jedenfalls der Tendenz nach. Von unserem guten Anfang im Herzen und dem Zwischenstopp eine Etage höher im Verstand, der unseren Herzensglauben sehr oft entschärft, verschlimmbessert, ihm einiges an Kraft nimmt und mit dem wir dann schliesslich zum Herzen Jesu gehen. Ja, das gab eine so spannende, eindrückliche Gesprächszeit, die ich nicht missen möchte. „Ihr seid eine Jesus bekennende Gruppe, die immer ein Lied und so oft herzhaftes Lachen auf den Lippen hat. Ihr seid so fröhlich, und alles, was euch geschenkt ist, nehmt ihr dankbaren Herzens aus des himmlischen Vaters Hand. Von euch können wir Westeuropäer ganz viel lernen“, bemerkte ich weiter. Annette und Josef ermutigten mich sehr, treu für unser Volk zu beten. Und das wollen sie auch tun. „Alles, einfach alles ist ein Geschenk von Gott. Ohne Ihn könnten wir nichts tun und bewirken“, meinten beide überzeugt. Ja, von ihrer Dankbarkeit will ich weiter lernen. Und in so eine tief berührende, für mich ungeahnte Dankbarkeit war ich gerade im Begriff hinein zu fahren ...

 

Wir kamen bei „Compassion“ an. Nach knapp fünf Minuten kam die siebenjährige Jaira auf mich zugerannt und umarmte mich herzlich. Dahinter folgte ihre Mutter, die mich ebenso herzlich begrüsste, als würde ich schon lange zu ihnen gehören.  Abdrücklich. Im Raum war Freude pur zu spüren. Irgendwelche fleissigen und dienenden Hände hatte für uns ein Znüni vorbereitet, was der sympathische Anfang der gemeinsamen Tagestournee war. Bald darauf standen drei weitere Personen im Raum. Das heisst, Shorah kam direkt auf mich zugeflogen. Herzte mich innig, wie ein gut versorgtes Kind seine Mama. Strahlende Mutter dahinter, leuchtende Schwester (18) daneben. Beide Mütter erzählten, wie ihre Mädchen nun seit drei Wochen so aufgeregt gewesen seien und es kaum erwarten konnten, nicht nur meinen Namen und meine Briefe zu kennen – sondern die echte Patin, die man anfassen, mit der man reden, sie herzen und mit ihr spielen kann. So herzig, in der einen Familie bin ich die Tante, in der andern Shoras zweite Mama aus der Schweiz. So haben es die Eltern festgelegt. Für beide Familien bin ich längst ein Familienmitglied, das sie – mitsamt unseren Familienangehörigen – treu umbeten. Was für eine Freude auf den Gesichtern der Kinder und Mütter! Ich konnte es kaum fassen. Damit hätte ich nicht gerechnet. Und es hat mich sehr beschämt. Hab es wirklich haushoch unterschätzt, was es für diese Familien bedeutet,  dass da in der Schweiz jemand ist, denen die Zukunft ihrer Tochter nicht egal, und somit auch sie uns nicht egal sind. Nie hätte ich in Erwägung gezogen, dass die ganze Familie innerlich so mitgeht, mit der Patin (und deren Familie) ihrer Töchter.

 

Nach dem Znüni wurden wir zu Shoras Familie geführt, wo zwei weitere Kinder und der beste Freund von Shorah ungeduldig auf uns warteten. Jaira und Mama kamen selbstverständlich auch mit. Eine Begrüssung, als würde ich nach langer Reise nach Hause kommen ... Wusste nicht wie mir geschah. Der sehr warmherzige Sohn, bereits 21, hat ein Augenleiden. Bin gespannt, ob Gefährte aufgrund der Beschreibung herausfinden kann, in welche Richtung das Leiden diagnostisch geht. Nebst der 18-jährigen Schwester gehört auch noch eine 15-jährige dazu. Der Vater war nicht zuhause. Shorah ist mit ihren fünf Jahren das Nesthäkchen. Eine köstliche Nudel, die es in sich hat!

 

Von Herzen gerne brachte ich für jedes Familienmitglied handfeste Grüsse aus der Schweiz mit. Und die Puppen, die mir jemand aus unserer Kirche für die Mädchen mitgab – waren der absolute Renner. Wie echte, kleine Mütter trugen Jaira und Shorah ihre gerade geborenen Babies - Sturzgeburt – und gaben sie kaum mehr aus der Hand. Rührend. Danach wurde ich beschenkt ... Kam gar nicht mit. Alles Handarbeit: eine geflochtene Einkaufstasche, bestickte, lederne Buchzeichen und anderes mehr legte Shoras Mama auf meinen Schoss und dankte mir innig, dass ich mit Shorah einen Weg gehe. Das Berührendste und Kostbarste ist ein Büchlein mit Bildern von Shorah und reichhaltigem (nicht nur äussserlich), handgeschriebenem Text, wo jedes Wort mit Farbstift übermalen ist. Das las ich erst im noch aktuellen Zuhause. Fassungslos war ich, während ich las, über dem, was ich las ... Zwischendrin konnte ich nicht mehr weiterlesen, weil die Tränen die Sicht blockierten. Man bedenke: Alle wussten erst seit drei Wochen, dass ich sie besuchen werde.  

Bitte versteht mich so, wie ich es in meinem Herzen meine: Wenn ich hier von mir rede, dann könnte das geradesogut eine andere Person sein. Es geht nicht darum, wer Shoras Patin ist. Was ich rüberbringen möchte, ist die für mich bis gestern völlig unvorstellbare Dankbarkeit und innige Liebe beider Familien, die sie auch jemand anderem in gleicher Weise entgegenbringen würden, wie sie es eben jetzt mir gegenüber tun. Ihre Beziehungsfähigkeit, ihre Priorität, die sie Beziehungen geben - darum geht es mir. Wir können uns zuhause wohl wirklich nicht adäquat vorstellen, was wir diesen Kindern und ihren Familien bedeuten (sofern noch Familie da ist), wenn wir uns dazu entscheiden, eine Patenschaft für irgendein Kind in dieser Welt zu übernehmen, das nun einfach Unterstützung braucht, um in eine hoffnungsvolle Zukunft hineinwachsen zu können. Und weil ich mir das bis gestern niemals so vorstellen konnte, wie ich es erleben durfte, wurde mir etwas tief klar: Dieses Wissen macht mich noch verantwortlicher. Bezüglich Gebet, Briefe schreiben, vor Gott nachdenken, was diese Kinder und ihre Familien brauchen. Ich bin wirklich sehr beschämt erkennen zu müssen, dass ich meinen Teil bisher ohne Zweifel lockerer nahm, als sie ihren ... Das tut mir sehr leid. Wie gut, und was für eine Gnade, dass ich die Chance hatte, beide Kinder und ihre Familien zu besuchen. Gott hat mir gestern die Herzensaugen heilsam weit geöffnet. Danke HERR!

 

Will etwas, was in meinem kostbaren Büchlein steht zitieren. Die 18-jährige Schwester schreibt (auch der Bruder hat hineingeschrieben):

 

„Mum named Shorah „Kwagala“, and it means LOVE in our language, because she loved her so much. Shorah has been a lovely baby, since she was born. She is so lucky, that God showed her another lovely Mum and that’s you. We are proud, that you came into our lives. Glory be to the almighty God. We love you so much, Mum Katharina.“

 

„Mama gab Shorah den Namen „Kwagala, und das bedeutet LIEBE in unserer Sprache, weil sie sie so sehr liebte. Shorah war seit ihrer Geburt ein liebenswertes Baby. Sie ist so glücklich, dass Gott ihr noch eine andere liebe Mama gezeigt hat, und das bist du. Wir sind so stolz, dass du in unser Leben getreten bist. Ehre gehört dem allmächtigen Gott. Wir lieben dich so sehr, Mama Katharina.“

 

Was für eine Gnade, dass Gott mir so tief bewusst gemacht hat, was Er da am Wirken ist. Ohne Besuch hätte ich bis auf Weiteres keinen Zehntel davon begriffen. Bin Gott so dankbar, dass Er mich liebevollst korrigiert hat. Liebevoller kann Er tatsächlich nicht mehr korrigieren ... Auf einem Regal im Wohnraum war einer meiner Briefe an Shorah in einem goldenen Bilderrahmen eingerahmt und aufgestellt. Ich stand da und war einfach nur tief berührt. Bevor unsere Reise weiterging, betete der grosse Bruder von Shorah noch für mich und meine Familie.

 

Nach dieser wunderbaren Zeit grosser Freude und Dankbarkeit ging es mit dem grösseren Teil der Gesellschaft weiter zu Jairas Familie, die einiges weiter vom „Compassion-Areal“ weg wohnt, als Shorah. Weit draussen im total ländlichen Afrika. Ich liebte diese Fahrt durch diese malerische Landschaft Ugandas – und rechts und links von mir ein kostbares Menschenkind an der Seite, von denen jedes seine kleine dunkle Hand in meine weisse legte.

 

Als ich aus dem Auto stieg, fiel mein Blick direkt auf ein grosses Willkommensschild – und wieder war ich platt. „HERR ohne Dich versteh ich das nicht – sage einfach herzlichst Dank dafür!“ Papa, die beiden Omas und wohl noch eine Tante der Familie bildeten zusammen mit dem neunjährigen Bruder und zwei deutlich jüngeren Cousinen, die angezogen waren, als würden sie zu einer Hochzeit gehen, das Begrüssungs-Komitee. Nein, Komitee passt gar nicht. Es war ja viel mehr Herz dabei! Lange sassen wir in ihrer afrikanischen Stube. Die meisten auf dem Boden, wie immer, und genossen die Zeit der Gemeinschaft herzhaft. Zum Empfang hatten alle fünf Kinder ein Willkommenslied einstudiert, das bis zu dieser Zeit kaum existieren konnte. Jedenfalls die Worte nicht. Die waren so persönlich. In jeder Strophe begrüsste mich ein Kind und dankte dafür, dass ich Jairas Tante werden wollte und erzählte singend, wer es in Beziehung zu Jaira ist. Obergoldig. Gerne hätte ich euch dieses Video eingestellt, doch „Compassion“ untersagt begreiflicherweise das Einstellen von Bildern der Patenkinder im Netz. Auch dieser grossen Gemeinschaft erzählte ich von meinen Eindrücken und Erlebnissen während meiner Ugandazeit, auch, dass mir die Afrikaner sehr lieb sind, ich mich ihnen nahe fühle. Sie dankten mir sehr dafür.

 

In Jairas Stube hängen meine Briefe an der Wand. Und während ich diese Gemeinschaft genoss, ging mir einfach noch einmal deutlicher auf, wie viel mehr diesen Menschen Beziehungen bedeuten, als ich es zuhause erlebe. Vielleicht muss ich fairerweise sagen, dass sie uns durchaus auch viel bedeuten könnten – dass wir uns dafür aber mit Abstand und eindeutig weniger Zeit nehmen. Klar, unsere Arbeitswelt frisst viele von uns auf. Dazu fehlt es der jungen Generation vielleicht auch da und dort an der Erfahrung tiefer, verbindlicher Freundschaften, die man beim 1253sten face-book-Freund schlicht nicht erleben kann.

 

Es war für mich ein Erlebnis, einem neunjährigen Knaben mit einem Plüschtiger eine riesige Freude machen zu können! Zuhause war ich etwas unsicher, was ich ihm mitbringen könnte. Der Tiger schien mir das Richtige für ihn zu sein. Wenn ich aber an Neunjährige zuhause dachte, stiegen leise Zweifel in mir hoch. Das Geschenk traf voll ins Schwarze.

 

Plötzlich überreichte mir Jaira ein lila eingepacktes Paket, das speziell und liebevoll beschriftet war. Aussen und innen. So viel Mühe, soviel Liebe. Es kam mir vor, als würde ich an diesem Tag ein Perlenbad nehmen. Gott sein Dank war ich nicht die einzige darin. Das wäre traurig gewesen. Jaira half mir, die beiden beschrifteten Blätter sorgfältig abzulösen und das Geschenk auszupacken. Es war unglaublich, aus der Schachtel nahm ich eine aus bunten Perlen angefertigte Handtasche, die perfekt zur gestrigen Garderobe passte. Jairas Mama strahlte, als ich sie auf diesen „Zufall“ ansprach und meinte in einer Selbstverständlichkeit: „The Holy Spirit can do this!“ Der Heilige Geist kann das machen. Zum Schluss betete Jairas Vater noch für mich und meine Familie.

 

Voller Freude zogen einige von der Gesellschaft wieder los. Alle Kinder kamen mit. Grosseltern und Tante blieben zurück und fingen gleich an, dicke Zuckerrohrstängel zu zersägen. Die Arbeit rief sie wieder. Es ging nun zu Jairas Schule, wo man mich der Schulleiterin vorstellte. Eine sehr herzige Person, der ich aus meiner Schulzeit und ebenso von meinen Erfahrungen aus meinem Afrikaaufenthalt erzählte. An ihrer Schule werden die Kinder mit den biblischen Geschichten vertraut gemacht, was in Uganda sehr üblich ist. Sie war sehr erstaunt, als ich ihr erklärte, dass das in der Schweiz nicht mehr so sei. Wenn, dann nur sehr massvoll. Das sei doch aber ein christliches Land, meinte sie fragend. Diese Frage lass ich jetzt mal in der Luft hängen. Schon war es wieder Zeit zum Weiterfahren. Doch bevor ich aufbrach, betete die Schulleiterin noch für mich und meine Nation.

 

Nun war es Zeit, zurück zum Compassion-Areal zurück zu fahren, wo ein herrliches Mittagessen auf uns wartete. Wir mussten uns noch ein wenig gedulden, und das war gerade ideal. So konnte ich allen Anwesenden noch jenes Schneckenspiel erklären und mit allen spielen, das ich ja bereits auf dem Prayer Mountain der Kindergärtnerin Rosette geschenkt hatte. Wir hatten grossen Spass zusammen. In aller Ruhe assen wir und freuten uns innig an diesem besonderen Tag, den Gott uns allen geschenkt hat. Jedem wohl auf seine ganz eigene Weise. Der Abschied fiel nicht sehr schwer. Die grosse, tiefe Freude überwiegte und wird uns alle weiter begleiten – bis wir uns eines Tages wieder sehn.

 

Morgen Abend geht eine nächste Reise los. Ich kehre heim in die Schweiz mit einem Herzen – voller Edelsteine ...

 

DANKE HERR, und bitte, lass mein Leben mehr und mehr zu einem Dank an Dich werden!

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