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Ein erfreulicher Flug ...

... von Madrid nach Zürich Kloten war Gefährte und mir sonntags beschieden! Wir besuchten unsere jüngere Pflegetochter, die dort für ein Semester studiert und verbrachten eine frohe, sehr wertvolle Zeit zusammen. Ja, wir freuen uns sehr, wie lebensbejahend und froh Rosenmädchen - das längst kein Mädchen mehr ist - unterwegs ist.

 

Schliesslich wurde auch der Heimflug noch zu einem gar positiven Erlebnis für mich. Wer sich an meinen Flug anfangs August nach Uganda erinnert, weiss um meine Bestürzung darüber, dass jeder Passagier sein persönliches Heimkino vor der eigenen Nase hatte. Jeder "Heimkino-Besitzer" mit einem anderen DVD beschäftigt ... Ganz anders am Sonntag. Der Flug lief Film-abstinent ab - und wir leben alle noch! Um uns herum waren erstaunlich viele Passagiere damit beschäftigt, ein Buch oder eine Zeitschrift zu lesen, ja sogar miteinander zu reden. Diese Seltenheit liess Zweifel in mir hochkommen, ob ich mich wirklich im 21. Jahrhundert befinde - oder vielleicht auf einem Flug in die Vergangenheit? Mehr als nur deutlich aber nahm ich die grosse Ruhe wahr, die sich dadurch im Flugzeug ausbreitete. Eine Atmosphäre, in der es mir pudelwohl war. Dann und wann schlug jemand eine Papierseite um. In einem Tempo, das mir so sympathisch ist. Kein Wettrennen sich überstürzender, vorbei flimmernder Bilder, von denen man nie jedes mitbekommen kann. Das Ganze begleitet von einem unaufdringlichen, fast zärtlichen Geräusch, das ich herzhaft liebe. Fast so heimelig, wie das knisternde Feuer im Ofen zuhause. Eine Flugzeugatmosphäte, in der meine Seele ruhen kann und ohne jede Mühe gut und gerne mitkommt. Hier hatte ich auch den Eindruck, unter anwesenden, echten Menschen zu sein, die ansprechbar wirkten.

 

Mir kam der Flug nach Uganda wieder in den Sinn. Krasses Gegenteil. So eine Hektik und Hetze in der Luft! Dieses Geflimmer von links hinten nach rechts vorne im Flieger! Wer nicht am DVD schauen war, war mit Tastenrennen auf Lap-Top oder Handy beschäftigt. Was für ein angestrengtes, angespanntes Starren in irgend eine unserer modernen Flimmerkisten unterschiedlichster Grösse! Zum Davonlaufen - bloss wohin, wenn man im Flugzeug sitzt? Ausserdem sassen wir mitten am Tag völlig im Dunkeln - vielleicht auch im übertragenen Sinn? Man muss sich schon in der Dunkelheit verirrt haben, wenn man seine Zeit fast nur noch filmeschauend zubringen und nahezu pausenlos online sein kann. Gibt mir das Gefühl, unter lauter abgemeldeten, unlebendigen Menschen zu sein, die klar signalisieren: "Ich brauche nicht mehr als mich und meine kleine eigene Welt. Bitte stör die nicht!" Alles andere, als ein Gegenüber. Ähnlich wie ein Duplo-Männchen.

 

Irgendwann erinnerte mich Gefährte daran, was Rosenmädchen uns am vergangenen Wochenende nicht unbetroffen erzählte: "Mir ist aufgefallen, dass viele Jugendliche nicht mehr fähig sind, ein echtes Gespräch zu führen. Eines wo man sich gegenüber sitzt und gemeinsam ein Thema diskutiert. Viele können einem nicht mal mehr in die Augen sehen, wenn man mit ihnen spricht. Habt ihr das auch schon festgestellt? Ihre Kommunikation läuft fast nur noch über digitale Medien. Indirekt. Da können sie es sich ja aussuchen, ob sie eine Whatsapp auftun und beantworten wollen oder nicht. Ob der Zeitpunkt grad passt oder nicht. Ob sie überhaupt antworten wollen oder nicht. Das ist in einem echten Gespräch nicht möglich. Da musst du präsent sein, auf die Anstösse des Gegenübers reagieren. Nicht erst zwei Tage später. Viele junge Menschen sind dazu nicht mehr fähig."

 

Man könnte meinen, diese Gedanken würden der heutigen Grauhaar-Generation entspringen ... Aber Rosenmädchen zählt grad mal 23.

 

ROMANO GUARDINI hat sich bereits zu seiner Zeit (1885-1968) mit solchen Fragen auseinandergesetzt. Man bedenke, das war, als die Technik im Vergleich zu heute geradezu ein Zeitlupentempo an den Tag gelegt hat. Hier seine träfen Gedanken:

 

Nehmen wir ein charakteristisches Fortschrittsmoment der Technik. Die Geschwindigkeit der Fortbewegung. Immer schneller wird der Verkehr, immer schneller die Abfolge der Verrichtungen im Beruf, immer schneller das Nacheinander der Eindrücke. Die Zeit schwindet unter den Händen. So lange man jung ist, verbindet sich die Dynamik der Bewegung mit dem Elan des eigenen Lebens und erscheint als etwas Erregendes und Kraftvolles. Dabei übersieht man aber, dass man das Element der Ruhe verliert …

 

Nehmen wir ein anderes Beispiel: den Lärm. Allmählich merken ja auch nicht nervöse Leute, sagen wir besser: noch nicht nervöse, dass der Lärm sich überall zu einer bösen Gefahr entwickelt…. Hier passiert etwas sehr Schlimmes: die Stille geht verloren und mit ihr alles das, was nur aus ihr heraus verwirklicht werden kann, nämlich, dass der Mensch ins Wesentliche kommt.

 

Eine weitere der grossen Gefahren der Technik ist das ständige Angegriffenwerden durch Reize. Man sagt immer, der moderne Mensch wolle nicht nur denken, sondern sehen. Sieht er aber wirklich, wenn er in einer Viertelstunde einhundert Bilder anblickt? Dann sieht er in Wahrheit gerade nicht; er erfasst nichts Sinnhaftes, von innen Gestaltetes. Nicht die Welt, sondern nur Effekte. Eine Masse von Eindrucksfragmenten stürzt auf ihn ein, und das Eigentliche, das Innewerden der Welt in ihrer Grösse, Herrlichkeit und Tiefe nimmt ab. Alles wird flächig, dünn, zusammenhanglos. 

 

Wie würde Guardini wohl den Menschen von heute in seiner Medienumwelt beschreiben? Die oben erwähnten 100 Bilder pro Viertelstunde von gestern dürften heute ohne weiteres auf 1000 angestiegen sein! Was leiden doch gerade unsere Kinder unbeschreiblich am ununterbrochenen Angegriffensein durch Reize! ADHS lässt grüssen! Das heisst: vermutlich ist ihr Leiden kein bewusstes, weil sie die Welt nur so kennen lernten! Für sie ist das normal – Leiden und Vermissen von Wesentlichem, auch wenn sie es letztlich nicht beim Namen nennen können, gehört zur Normalität ihres Kinderalltags … Guardinis Überzeugung, dass der Mensch vornehmlich durch und in der Stille ins Wesentliche kommt, teile ich mit ganzem Herzen, weil all das, was meinem bisherigen Leben eine wesentliche, sinnhafte Richtung gab, nicht auf der Achterbahn im Europapark geboren wurde – nein, es wurde in der Stille, während des inneren An- und Innehaltens zum Leben erweckt, ähnlich, wie es in Jesaja 30/15 ausgedrückt wird:

 

Denn so spricht Gott, der Heilige Israels: „Durch Umkehr und Ruhe könnt ihr gerettet werden, im Stillesein und im Vertrauen liegt eure Stärke.“ (Schlachter Übersetzung, 1975)

 

Kaum vorstellbar, dass solche Lebensqualität nur für Menschen früherer Zeiten galt. Heute aber ist das pure Gegenteil der Fall: Immer auf Achse sein, sich gleichzeitig noch betäuben … Wie soll sich da einer noch orientieren und zu Wesentlicherem im Leben vordringen können? Das gleicht vielmehr einer permanenten Flucht vor sich selber. Wollen wir unseren Kindern wirklich diesen ruhelosen Lebensstil beibringen? Wollen wir ihn wirklich vorleben?

 

 

Zitate aus: Guardini, Romano; Gottes Angesicht suchen, S. 33-34

 

 

Ruhevoller Song: 

https://www.youtube.com/watch?v=8psl2OdFeIU

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