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Hütten-Geschichten

 

Jeder trägt eine Hütte (1)

 

Das wurde mir durch den Film „Die Hütte“ noch tiefer bewusst als davor. Eine Hütte, in der sich viel ansammelt, in der wir viel verbergen, was uns und unseren Charakter sehr geprägt hat. Über manches, was sich über Jahre darin angesammelt hat, reden wir gerne. Alles Frohe, Gute, Schöne. Und Erfolge natürlich. Anderes verbergen wir im hintersten, dunkelsten Hütten- oder Seelenwinkel – weil es schlicht zu schmerzvoll und alles andere als dekorativ ist. Vielleicht betäuben wir darin auch Schmerzen bis zum Vergessen? Das passiert.

 

Ja, wer erlebt ihn nicht, den unpräsentablen Hütte-Schmerz? In irgend einer Form, irgend einer Tiefe erreicht ihn jeder. Selten nur einmal im Leben. Jeder trägt eine Geschichte, geschrieben weit entfernt vom ersehnten Rundum-Frieden. Die Erde ist kein Ort des Friedens, oh nein! Nur Herzen können das werden. Gnade! Ja, jeder ist eine Geschichte. Seine Geschichte. Unverwechselbar. Unwiederholbar. Einzigartig. Einmalig kostbar – mit allen Brüchen und Scherben - nebst Erfreulichem, Gott sei Dank. Wir könnten sonst verschmerzen. Hier ist ihre Hütte-Geschichte:

 

 * * * * * * *

Auch sie weiss um den Schmerz ihrer Seele, ihrer Hütte. Gleichzeitig um seinen verborgenen Reichtum, obwohl sich der Schmerz immer wieder giftig bohrend in ihren Alltag mischt. Nicht allein, weil sie eine Tochter verloren hat. Das ist eine ihrer Schmerzgeschichten. Über diese denkt sie jetzt nach. Nein, gestorben ist sie nicht, die Tochter. Mindestens nimmt sie an, dass sie dies erfahren würde. Vielleicht hält die Tochter sie für tot? In ihrem Herzen, das tiefe Verletzungen kennt. Ab Zeugung. Damals wusste sie noch nichts von ihr. Tochter trat erst Jahre später in ihr Leben. Auch von ihr sind Verletzungen dabei. Das ist ihr sehr leid – und gleichzeitig glasklarer Ausdruck ihrer Gnade bedürftigen Menschlichkeit. Sie weiss nicht genau, ob sie noch existiert für sie? Ob Tochter sie aus ihrem Leben verbannt hat? Kennt seit Jahren grad mal ihre Adresse, sofern die noch stimmt. Was sie bis heute nie vergessen hat, ist ihre Liebe für sie. Ihr Herz, das warm für sie schlägt. Immer noch. Das kann sie nicht vergessen. Liebe meldet sich, will leben, will weiter. Leider bleibt sie stecken bei ihr. Empfänger abgemeldet. Schmerzt sie noch mehr, als gehasst zu werden. Sie verpasst so viel Gutes im Nest ihrer Kindheit, ihre Tochter.

 

Damals, als Tochter sich unerwartet abgewendet hatte, musste sie eine Entscheidung treffen. Keine leichte, wohl aber sehr wichtige:

 

In welchem Herzen wohnen, ach, nicht zwei ganz unterschiedliche Seelen? Jene bittende, verletzte, auf Heilung angewiesene – und jene, die andere verletzt und zurückzahlen will. Nicht selten an falsche Adressen. Sofern sich zurückzahlen überhaupt lohnt? Sie nennt die verletzte Seele das „Lamm in uns“. Der „Wolf“ möge jenen Teil verkörpern, der verletzt und Lust auf Rache hat. Wer seinen Wolf nicht kennt, hatte wohl das Pech, noch nie gebührend genug mit seinen Grenzen konfrontiert geworden zu sein. Nur so lernt man sein eigenes Scheusal kennen. Den reissenden Wolf in uns. Wirklich, sie betrachtet solche Grenzerfahrungen als Gnade. Nicht im Augenblick der Erfahrung. Etwas später erst. Mehr noch, sie entdeckt darin heilsamen Segen. Chancen des gnädigen Kleinwerdens vor sich selbst, vor anderen Menschen und vor ihrem Gott - der immer schon um die wahre Grösse wusste. Schmerzvolle Erfahrung, das Kleinwerden – und gerade darin liegt ungeahnter Reichtum. Das kostbarste Gold eines Herzens vielleicht? Auch wenn es lange anders aussehen, sich anders anfühlen mag dort drin, in der unwirtlichen Hütte.

 

Tochter hatte sich also abgewendet. Sollte sie sich nun nie mehr melden bei ihr? Oder dann und wann Zeichen geben? Liebevolle natürlich. Alles andere wäre wert- und sinnlos. Daher Zeitverschwendung. Bald war ihr klar, dass sie sich in einer Zwickmühle befand. Wen soll sie zufriedenstellen: Das Lamm oder den Wolf? Nie mehr melden könnte Tochters Lamm erneut verletzen, obwohl sie den Abbruch inszenierte. Könnte auf sie wirken, als hätte Mutter sie aus ihrem Herzen geschnitten. So ist es nicht. Oh nein! Mit allem Erlebten bleibt Mutter für sie. Nie mehr melden führte beim Lamm zu totalem und ganz vielleicht fatalem Trugschluss? Der Wolf hingegen wäre wohl sehr zufrieden mit dieser Entscheidung. Wäre ein grosser Erfolg für ihn. Endlich gesiegt über Mutter. Obwohl diese gar nicht in einem Machtkampf zur Tochter steht. Sie nur lieben möchte mit einer Liebe, die Freiheit und Grenzen hat. Wie damals im Paradies. Zur Liebe gehört immer beides. Liebe ist eine Entscheidung aus freien Stücken. Kein genetisches Programm. Ob Tochter Liebe bisher als grenzenlose Freiheit missversteht? Sie weiss es nicht.

 

Und wenn sie dann und wann ein liebevolles Zeichen geben würde? Was wären die Folgen beim Lamm, beim Wolf? Tochters Lamm würde genährt, ab und zu ein wenig liebkost, umarmt, gewärmt, wenn auch nur aus der Ferne. Aber es könnte sich noch immer in Mutters Herzen willkommen wissen, selbst wenn es vorläufig gar keine Lust auf Begegnung hat. Vielleicht auch nicht weiss, wie es das anpacken könnte – eine neue Begegnung? Ja, das Lamm wüsste: „Ich gehöre dort noch immer dazu! Habe meinen Platz, meine Familie nicht verloren.“ Wichtiges inneres Wissen, ahnt sie, das durchträgt. Besonders vielleicht in schweren Zeiten? Lämmer möchten geliebt sein.

 

Was aber den Wolf angeht, macht sie sich keine Illusionen. Liebevolle, treue Zeichen der Liebe können bei ihm mühelos den Hass vergrössern, weil der Wolf in uns mit Liebe nicht umgehen kann. Provoziert ihn oft zu noch mehr Hass und Rebellion. Der Wolf in uns stösst Liebe zurück, versucht sie zu töten, ob er es sich bewusst ist oder nicht. Wölfe wollen in ihren harten Entscheiden und Forderungen total ernst genommen werden. Wehe dem, der das nicht tut! Wölfe haben ein scharfes Gebiss. Auf sie wirkt es geradezu respektlos, wenn man ihre Forderungen übergeht und nicht aufhört sie zu lieben ...

 

Was nun? Will sie zunehmenden Hass ihr gegenüber riskieren oder gar provozieren? Keine erbauliche Aussicht? Auch nicht ganz ungefährlich, je nach dem. Hass hat viele Gesichter und Auswüchse. Ja, wie soll sie sich entscheiden im Dilemma zwischen Lamm und Wolf in einer Person, die zufällig ihre Tochter ist? Wie immer die Entscheidung ausfällt, jemand wird sehr unzufrieden und verletzt sein. Entweder das Lamm oder der Wolf.

 

Teil 2 folgt

 

Spuren im Sand; Siegfried Fietz

https://www.youtube.com/watch?v=NX4iPFU82lk&list=RDNX4iPFU82lk#t=0

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