Es war an einem frischen Sommermorgen. Rabbi Chajm hatte Besuch. Ein Mann mittleren Alters sass mit ihm auf der Veranda, umgeben von einem wohlduftenden Blumenmeer. Der Mann sah sehr bedrückt aus. Rabbi schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein und ging dann zur abgesprochenen Sache über:
„Mein lieber Mann, nur Mut! Wo drückt Sie der Schuh, erzählen Sie!“, und der Mann fing zu berichten an:
„Nun bin ich schon 10 Jahre verheiratet und verstehe mich immer weniger mit meiner Frau. Fängt oft schon morgens an! Kann einfach nicht begreifen, dass sie nach so langer Zeit noch immer nicht berücksichtigt, dass ich beim Frühstück das weiche Ei nicht im Teller, sondern neben dem Teller stehen haben möchte. Links, wohlverstanden, damit es nicht mit meiner Kaffeetasse zusammenstösst. Ausserdem kommt es meist dreimal pro Woche vor, dass sie mit der Zubereitung dieser wichtigen Mahlzeit gewiss fünf Minuten Verspätung hat, was meinen ganzen Tagesablauf ausser Kurs bringt. Das weiss sie! Wo bleibt da ihr Respekt? Muss dann selber schauen, wie ich diese Verspätung im Laufe des Tages wieder einholen kann. Ganz schön stressig für mich, nur weil meiner Frau das rechte Pflichtbewusstsein fehlt. So geht das auch im Badezimmer weiter. Jeden Montag, Mittwoch und Samstag sollte es frisch geputzt daherkommen. So haben wir es damals vor der Hochzeit abgemacht. Abmachungen sind verbindlich. Muss schon froh sein, wenn meine Frau es zweimal pro Woche schafft, das Badezimmer zu putzen ... Ausserdem hat sie in diesem Jahr bestimmt schon dreimal vergessen, nach dem Reinemachen frische Handtücher an die Haken zu hängen. Sogar den sauberen Waschlappen muss ich mir fast jedes zweite Mal selber aus der Schublade ziehen. Fühle mich sehr vernachlässigt. Kürzlich kam es sogar vor, dass meine Frau unterliess, die Zahngläser zu entkalken und abzuwaschen ... Sie sehen, wir steuern mehr und mehr auf ein Chaos zu, werter Rabbi ...!“, jammerte der halb verzweifelte Ehemann. „Und ihr Empfang jeweils am Freitagabend! Ich freue mich so richtig aufs Wochenende – und sie steht fast immer mit einer langen Liste da, als hätte sie auf nichts Anderes gewartet, als mich gleich auf Einkaufstour zu schicken! Dabei habe ich ihr schon nahezu 1000 mal erklärt, dass es für mich ganz wichtig sei, dass ...
„Haben sie Kinder?“, unterbrach ihn Rabbi Chajm.
„Ja, vier im Ganzen. Zwischen zwei und sechs Jahren. Die mittleren sind Zwillinge“, informierte der Familienvater kurz. Dann klagte er weiter:
„Das ist es ja gerade: Seit die Kinder da sind, gelten die wohl mehr als ich. Arbeitsbedingt komme ich meist erst nach 19.00 Uhr nach Hause, weswegen unsere Kinder schon Abend gegessen haben, wenn ich heimkomme. Diese Küche sollten Sie sehen! Alles andere als einladend! Damit nicht genug. Meine Frau lässt für die Kinder an keinem Abend das Singen und Beten aus, spricht noch ein wenig über den Tag mit ihnen – und ich hocke in der Stube, hab Hunger und warte, und warte, und warte – auf meine Frau und ein gutes Essen! Meist erzählt sie dem Sechsjährigen noch eine Geschichte, bevor sie das Licht im Zimmer ausmacht und sich dann endlich mal noch mir zuwendet. Ziemlich erschöpft allerdings. Erstickt jede Liebesflamme in mir. Was soll ich mit so einer müden Frau dann noch anfangen? Wenn sie sich wenigstens Mühe gäbe, mir zuliebe etwas frischer aufzutreten, sie weiss doch, dass ich auf „eau de toilette“ stehe. Am liebsten von „Cabochard“. Und statt in T-Shirt und verkleckerter Jeans durchs Haus zu stolpern, hätte ich nichts dagegen, sie würde sich ein nettes Kleid anziehen, bevor ich nach Hause komme ... Könnte sie doch immer um 18.30 Uhr machen. Ein Ritual quasi, mir zuliebe!? Aber ach, das ist doch keine Lebensqualität mehr für mich!“
In diesem Sinne ging das nahezu eine Stunde lang weiter. Der Rabbi hörte geduldig zu, schaute dem Mann immer wieder tief und liebevoll in die Augen. Irgendwann stellte er ihm folgende Frage:
„Mein lieber Mann, möchten Sie glücklich werden?“
„Natürlich, deswegen bin ich doch zu Ihnen gekommen“, gab er sehr spontan zu.
„Vielleicht liegt gerade hier das Problem?“, warf Rabbi Chajm sehr ruhig ein.
„Hier das Problem? Sie erwarten doch nicht von mir, dass ich unglücklich bleiben möchte?“, fragte der Mann etwas irritiert. Sehr fragend jedenfalls.
„Oh, ich glaube, Sie verstehen mich ganz falsch. Unglück wünsche ich keinem Menschen. Nie. Sie möchten glücklich werden, haben Sie gesagt. Aber vielleicht sollten Sie es mal umgekehrt versuchen?“
„Umgekehrt? Wie meinen Sie das?“
„Ganz einfach. Wenn Sie heute nach Hause kommen, dann empfehle ich Ihnen, sich mal nur noch auf das zu konzentrieren, was Ihre Frau glücklich machen könnte. Ja, interessieren Sie sich einmal für drei Monate nur noch dafür, wie Sie Ihrer Frau zuliebe leben könnten, was ihr Freude macht, was sie ermutigen und stärken könnte. Was sie entlasten würde? Was Sie beitragen könnten, damit sie mehr Zeit mit Ihnen verbringen kann? Und überlegen Sie nicht nur – vielmehr tun Sie dann auch, was Ihnen aufs Herz kommt. Jeden Tag. Nur das. Und nach drei Monaten kommen Sie wieder zu mir!“ Das war der einzige Rat des Rabbi.
„Das meinen Sie also mit „umgekehrt“ ...“, sagte der Mann betroffen, als wäre gerade eine Bombe geplatzt. In seinem Herzen. Rabbi Chajm erkannte sehr wohl, dass sein Vorschlag bei seinem Ratsuchenden ziemlich alles auf den Kopf gestellt hatte, was bisher vertraut gewesen war. War ja kein Einzelfall, sein Gast. Kurz darauf, nach einem erfrischenden Getränk, entliess er den nachdenklichen Mann auf seinen Heimweg. Ein Büchlein, gab er ihm noch mit. Es war leer, doch es sollte nicht leer bleiben, sagte Rabbi zum Heimkehrenden. „Gute Gedanken müssen festgehalten werden. Die andern werfen Sie am besten hier in den Goldfischteich ...“, meinte er und zwinkerte dem Scheidenden liebevoll zu. Ach ja, der Titel war bereits gesetzt: „Wie ich meinen Ehepartner glücklich machen kann“. Die Sonne stand hoch am Himmel.
Drei Monate später stand eine junge Frau an der Tür des Geistlichen. Sie richtete Rabbi Chajm beste Grüsse von ihrem Bruder aus, der hier vor einem Vierteljahr einen umwerfenden Rat mit grosser Wirkung erhalten habe. Auch eine Flasche Wein und einen Briefumschlag, zugeklebt natürlich, überbrachte sie ihm von ihrem Bruder. Dann nahm sie allen Mut zusammen und fragte:
„Was meinen Sie, geschätzter Rabbi Chajm, könnte Ihr Rat auch die Rettung meiner wackligen Ehe sein, die vom Auseinanderbrechen bedroht ist ... ?“
Rabbi *Chajm lächelte die junge Frau liebevoll ermutigend an und lud sie auf seine Veranda ein ... Er war voller Zuversicht.
Text: Katharina Steiner, Juli 2017
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*Chajm = Leben
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