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Muss es denn so schwierig sein?

 

Die erfundene Geschichte geht mir immer wieder nach. Und Rabbi Chajm liebe ich, sehe ihn dankbar lächeln, während er in aller Ruhe – selbstverständlich auf seiner Veranda im Liegestuhl - den Brief liest, der ihm von der jüngeren Schwester seines kürzlich halb verzweifelten Ratsuchenden überreicht wurde ... (siehe letzter Eintrag). Solche Briefe oder Berichte bekommt er immer wieder. Darauf murmelt er jeweils nur still vor sich hin: „Gott, Dir sei Dank, Du grosser SHALOM!“

 

Ja, muss es denn so schwierig sein, die Geschichte mit der Ehe und der Partnerwahl? Rabbi findet nicht, wenn man gewisse Dinge beherzt beachtet. Meine Leser werden ihre eigenen Erfahrungen gemacht haben. Werden entweder mittendrin, bereits am Schluss oder noch immer davor stehen. Vielleicht schon viel länger, als sie sich immer gewünscht haben?

 

Hier ein paar meiner Gedanken:

Es kommt immer wieder vor, dass junge Menschen, die mit mir über Freundschaft und Ehe reden, sagen:

 

„Also, bei einer Scheidungsrate von 50% denke ich besser zum Vornherein gar nicht ans Heiraten. Das kommt ja eh schief.“

 

Ich kann diese grosse Entmutigung und Ernüchterung sehr gut verstehen. Und ich wünschte unserer jungen Generation wirklich mehr ermutigende Ehevorbilder, als sie oft vorfinden. Dennoch bin ich sicher, dass es nie die Höhe einer Scheidungsrate sein wird, die eine eingegangene Ehe zum Scheitern verurteilt. Das ist ein grosser Denkfehler. Auch ein nicht mal so schlecht getarntes Abschieben persönlicher Eheverantwortung an eine statistisch erwiesene Zahl. Keine Ehe wird krank, nur weil in unserem Land die Scheidungsrate bedenklich hoch ist. Sie wird in der Regel dann krank, wenn wir das, was beziehungsfördernd ist zu wenig beachten und dem, was Beziehungen gefährdet, mehr und mehr Raum geben. Heisst also, dass es eine hohe Priorität hat, eingehend und gemeinsam darüber nachzudenken, was zur Stabilität von Ehen beiträgt, was sie stärkt, was sie festigt, was sie kostbar macht. Genauso aber ist es ratsam wissen zu wollen, welches die grossen Beziehungskiller sind. Heisst, dass uns dies von Anfang an interessieren sollte, damit wir das Eheschiff möglichst vom Tag seiner Jungfernfahrt an in eine gute, Gottes Gedanken entsprechenden Richtung führen können.

 

Nein, wir sind nicht einfach Ausgelieferte. Schon gar nicht an eine statistische Zahl. Und mag sie noch so zutreffend sein und durchaus sehr nachdenklich stimmen. Wenn man beides, das Beziehungsfördernde und das Beziehungstötende vor Augen und den Willen im Herzen hat, die Ehe zu pflegen, ihr Sorge zu tragen, könnte die Scheidungsrate bei 95% liegen und die eigene Ehe stände deshalb noch immer nicht in Gefahr zu scheitern. Ehe ist unter anderem das, was zwei mit oder ohne Gott draus machen. Um diese Verantwortung kommen wir trotz aller Gnade, die wir auf der ganzen Ehereise brauchen, nicht herum.

 

Und natürlich, wer die Partnerwahlfrage auf die leichte Schulter nimmt, im Sinne von: „Wir wollen’s mal versuchen. Wenn’s dann halt nicht haut ... “, der ist möglicherweise bereits in diesem Zeitpunkt geschieden. Nicht sichtbar. Aber im Herzen drin. Ein solcher Boden hat nichts mit sicherem Fels zu tun. Er ist sehr sandig. Nein, Ehe ist kein Versuchskaninchen.

 

Nun gibt es viele Menschen, die angesichts der vielen scheiternden Ehen behaupten, die Ehe sei ein Auslaufmodell. Wie gerissen wir im Abschieben von Verantwortung doch sind! Leider zu unserem Schaden. Etwas an der Idee der Ehe soll also nicht stimmen. Ehe taugt nicht. Ehe ist nicht (mehr) lebbar. Sie sollte erst gar nicht erfunden worden sein. "Ach Gott, was hast Du bloss für rosarote Wölkchen zusammen gepustet! Du bist noch ein Fantast!" Und so leben viele Menschen im Konkubinat. Ich möchte nicht untersuchen, wie hoch die Konkubinats-Trennungsrate ist. Betrachte es als möglich, dass sie die Scheidungsrate zu überbieten vermag. Das zu erfassen ist sehr viel schwieriger, als bei den geschlossenen Ehen. Rein bürokratisch. Wenn dem so wäre, wie ich mir vorstellen kann, müsste man längst zum Schluss kommen, dass auch das Konkubinat Beziehungen nicht stabiler macht, lediglich die Trennung der Partner rein äusserlich einfacher. Aber darüber habe ich noch kaum jemanden sprechen hören.

 

Ich bin überzeugt, dass es weder bei der Ehe, noch beim Konkubinat an der Erfindung derselben liegt, dass so viele einst in Liebe geschlossene Beziehungen wieder auseinanderfallen. Vielmehr werden die vielen Brüche damit zu tun haben, dass wir dem kostbaren Geschenk von Freundschaft und Beziehung - dem gewählten Partner also - viel zu wenig Priorität und Achtung, viel zu wenig Wertschätzung und Zeit in unserem Leben schenken. Dass wir im Trubel und der Hektik eines schnellen, voll bepackten Alltags möglicherweise schleichend an Beziehungsfähigkeit eingebüsst haben, welche die einst lebendige Liebe zum erlöschen brachte? Deshalb zerbrechen Freundschaften oft.

 

Ein anderer, sehr nachdenkenswerter Grund so vieler Brüche könnte sein, dass viele von uns tendenziell glücklich werden wollen, wie es ja auch Rabbi Chajms Erfahrung entspricht. Und für dieses mein Glück soll jemand anders zuständig sein. 365 Tage im Jahr. Mein gewählter Partner natürlich. Viele von uns entdecken das grosse Geheimnis nicht (mehr), dass ein viel tieferes Glück darin liegt beizutragen, dass durch die eigene Person das Leben eines anderen Menschen reicher werden möge. Reicher als ohne sie eben. Ich glaube, wenn in einer Ehe beide Partner lebenslang das Ziel ansteuern, das Gegenüber möge es besser haben dadurch, dass die eigene Person in sein Leben getreten ist, dann kann Ehe nicht hochgradig gefährdet sein. Aber klar, bereits wenn einer der Partner nicht mitmacht, sich nicht fürs Glücklichmachen entscheiden kann, kann Ehe zu einer enorm grossen Herausforderung werden und je nachdem scheitern. Wenn aber A dafür besorgt ist, dass es B durch es besser geht, als ohne es – und umgekehrt – dann wird Ehe, so lange sie lebt, eine lohnende gemeinsame Reise, in der Krisen Platz haben und kein Beziehungskiller, im guten Fall schliesslich sogar Beziehungsförderer sind.

 

Nichts weniger wünsche ich jedem und jeder, die sich mutig auf Ehe einlassen wollen, ohne sich von einer erschreckenden Scheidungsrate entmutigen zu lassen. Die aber nie damit aufhören, über all das nachzudenken, was Ehe, ja Beziehung allgemein fördert. Und vor allem: es gemeinsam zu leben. Tag für Tag.

 

Mut wünsche ich auch all jenen noch nicht Verheirateten, die realisieren, womöglich falsch gewählt zu haben, ihre Beziehung zu lösen. Weiss aus Erfahrung, dass dies das wirklich Beste ist, was man in so einem Fall machen kann. So hart es auch klingen mag. Eine Scheidung nach Jahren würde auf keinen Fall sanfter ausfallen.

 

Geh unter der Gnade (Manfred Siebald):

https://www.youtube.com/watch?v=QYK3rE3E6Eo

 

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