· 

Off- oder online?

Und weiter gehts zum Thema "Neues Krankheitsbild entdeckt" (siehe letzter Eintrag)

 

Was für eine tolle Erfahrung: Weisse Lilie und Butterfly gaukeln seit bald zwei Wochen irgendwo in Lilies Heimatland herum – und ich weiss praktisch nichts von ihren Gauklereien! So hab’ ich es mit ihnen abgemacht: Wunderselten Handykontakt in dieser Zeit. Wirklich, ich freue mich so sehr auf ihr Berichten, wenn sie dann wieder zuhause sind ... Man kann ja heute kaum mehr WEG sein, wenn man von jedem Punkt der Erde jederzeit piepst und papst, welchen wunderschönen Vogel man grad vorbeizischen sah und welches Insekt einen unsanft in welchen Fuss gestochen hat. Oder welche Suppe Tante Jane aus Amerika am Kochen ist und was Oma in der Heimat zum neuen Enkel sagt und ob dessen Nase nun nach oben oder unten schaut?

 

Zwischendurch mal so richtig WEG sein – das tut oder täte doch jedem gut! Die moderne Technik verleitet zum dauernden Anwesendsein für alle, zum anhaltenden Mit-anderen-sein – rund um die Uhr und den ganzen Globus! Und eh man sich’s versieht, verlernt man wesentliche Tugenden, die zu förderlichem Menschsein gehören. Oder man erlernt sie gar nicht mehr. Wenn, dann nur noch rudimentär. Jedenfalls aus der Sicht meiner Generation. Ich denke ans Wartenlernen, das Geduld wirkt, wenn man Training darin hat. Warten auf ein Lebenszeichen, auf Neuigkeiten von unseren Lieben ist heute ja schon eine Herausforderung, wenn ein Whatsapp oder eine Mail nicht am selben Tag beantwortet wird. Oder man empfindet es bereits als unanständig ...  

Als ich vor 35 Jahren durch Südafrika reiste, benötigte ein Brief mindestens fünf Tage, bis er am erwünschten Ziel ankam. Früher als nach elf Tagen war schlicht keine neue Nachricht aus der Heimat zu erwarten. Vorfreude zu erleben, die vielleicht zwei, drei Wochen Atem haben musste, empfand ich meist als etwas Wertvolles. Geduldig warten, bis der handgeschriebene Brief eintraf, den ich dann verkosten konnte – kostbare Erinnerungen in meiner inneren Schatzkiste.

 

Und weil ich für alle zuhause WEG war, wirklich weg, fühlte ich mich für diese Zeit auch frei. Ich musste zuhause loslassen um mich auf Neues einzustellen – und jene zuhause mussten mich freigeben. Konnten nicht über Selfies vom "Kap der guten Hoffnung" und Bildchen vom Tafelberg usw. der ganzen Reiseroute folgen und mir täglich auf den Fersen sein. Die zuhause hatten ihr Leben – und ich hatte meins, sehr ungestört, im südlichen Afrika. Ich lebte für ein Vierteljahr dort – und war nicht gleichzeitig bei allen zuhause. Bekam ihre Höhen und Tiefe nicht mit. Und sie meine nicht. Lebte nur in einer Welt. In jener, in der ich tatsächlich war.

 

Abstand bekommen – ist das nicht was Wunderbares? Kann auch Klärung wirken, wenn wir nicht täglich kabeln und nabeln! Ja, Loslasssen, eine Tugend und Fähigkeit, die so dringend nötig ist für uns Menschen. Eine Tugend, die den allermeisten natürlicherweise nicht leichtfällt. I-Phone und Co. verhindern viele solcher Loslass-Übungen, die man früher automatisch ins Leben gestellt bekam. Nein, natürlich liegt es nicht an der Erfindung der neuen Medien – sondern daran, wie wir sie nutzen oder übernutzen ... Auch heute kann jeder und jede ganz ungeteilt und ungestört in Südafrika, in der Karibik oder in Indien sein, wenn er es will. Lässt sich im Grunde mühelos einrichten. Die Entscheidung für diese Zeit "digitabstinent" zu sein, steht jedem und jeder offen. Bin auch wirklich dankbar dafür. Erlebe ja gerade jetzt das alte, gespannte Warten auf Heimkehrer wieder neu – und freue mich sehr auf ihr reges Berichten und manche Fotos dazu! Vorfreude! So was Schönes! Die werden was zu erzählen haben!

 

Aber klar: Auf Möglichkeiten zu verzichten, die uns so selbstverständlich gegeben sind, fällt vielen schwer, vermute ich. Man gewöhnt sich so leicht daran - und schon wird's normal. Realisiere ich ja bei mir. Es brauchte schon ein wenig Mut zu äussern, dass ich während des Urlaubs von weisser Lilie und Butterfly digital nicht dabei sein möchte. Ich wollte sie loslassen, freigeben für diese Zeit. Nicht mitreisen, nicht mitreden, nicht mitdenken, nicht mitteilen. Sie im fernen Land von mir her offline ihre Spur ziehen lassen und hatte gleichzeitig das Bedürfnis, hier in der Heimat losgelöst von ihnen meine zu ziehen. Eine sehr gute, reiche Erfahrung für mich. Bin dann gespannt von ihnen zu hören, wie es für sie war? Ich meine, es ist doch heute so: Wenn in der Urlaubszeit Pieps nach Paps reist, Pops nach Pups und Püps nach Päps – dann papst und pipst und päpst es zuhause schier in einem Fort, weil aus der halben Welt Nachrichten und Bilder eingehen, die ja wieder irgendwie beantwortet werden sollen. Solch ein Leben ist mir zu anstrengend geworden. Das Handy wie einen Eisstengel fast dauernd in den Händen halten - so stell ich mir Leben defintiv nicht vor. Es ist mir auch zu flüchtig, was die vielen Kurzbotschaften betrifft. Ich meine, wenn es bei diesen Kurzinfos bleibt. Nun will ich das Kind auch nicht mit dem Bade ausschütten. Es darf sein, was ist. Kurzbotschaften haben zweifellos ihre Berechtigung und erfreuen auch mich. Aber ich will bewusster nachdenken, wie ich die neuen technischen Errungenschaften aus welchen Gründen wie nutzen oder eben nicht nutzen will. Wo eine Übernutzung förderliches Menschsein vielleicht zu verhindern beginnt? Und diesbezüglich will ich gegen den Strom schwimmen. Für Entmenschlichung konnte sich mein Herz noch nie erwärmen.

 

Ausserdem fällt mir auf, dass es schon fast ein ungeschriebenes inneres Gesetz ist – ein Zeichen von Abhängigkeit oder Sucht auch - allezeit überall für jeden und jede erreichbar zu sein. Es geht ja so einfach. So ist es alles andere als einsichtig, dass sich da jemand querstellt? Also bitte, ein paar Mails und einige Whatsapps aus dem Geschäft in den Urlaub geschickt – was ist da schon dabei? Wenn wir schon diese wunderbaren Möglichkeiten haben, nutzen wir sie doch! Und mehr und mehr verlernen wir zu erfahren, wie erholsam es sich anfühlt, mal wieder so richtig OFFLINE zu sein. In jede Richtung unseres Lebens. Kann man wirklich noch erleben, was Entspannung ist, wenn man immer online ist? Ich bezweifle es. Deshalb gehe ich zum Beispiel wunderselten mit dem Handy aber fast täglich mit unserem Pooh spazieren. Und dieses OFFLINE sein geniesse ich herzhaft! Es ist unbestritten ein sehr anderes, viel beruhigteres Lebensgefühl für mich, das des Offline-seins. Slow down - ist im Online Modus ein Ding der Unmöglichkeit! Im Online-Modus, so behaupte ich zumindest, ist der ganze Mensch innerlich wie eine Katze vor dem Mauseloch. Er ist dauernd in unterschwelliger Erwartung einer neuen Nachrichtengeburt. Ist also einerseits da - und gleichzeitig auch dort. Und so lebt er in ständiger, dezentrierter Aufmerksamkeit. - Ein Leben lang quasi schwanger sein – nein danke ...!

 

Ja, das Handy, die moderne Nabelschnur der Gegenwart. Das Durchtrennen derselben ist unsere Verantwortung. Tun wir’s nicht, finden nötige Abnabelungen, gerade auch von anvertrauten Kindern, noch weniger statt, als vor dieser schnellen Zeit, ahne ich. Tun wir’s nicht, tragen wir wohl selber bei zu Burnout und Zappelphilipps. Tragen möglicherweise auch bei zu immer mehr Entmenschlichung. Leben rein technisch.

 

Nein!

 

Mit einem Zitat von Prof. Rudolf Seiss schliesse ich:

 

FREIHEIT ist nicht Abwesenheit von Zwang. FREIHEIT ist die Fähigkeit, auf die Möglichkeit zu verzichten.

 

Song from Laura Story: Perfect Peace

https://www.youtube.com/watch?v=IKynh0Spy-Q&index=9&list=RDAABE--YR1No

Kommentar schreiben

Kommentare: 0