... immer nur den Anfang. Auch in unserem jüngsten mit unseren Fremdlingen aus RO. Der grosse Rest ist Überraschung, der einen vertrauen lehrt. Wünsch ich mir zumindest. Zu einem Abenteuer zählt dann und wann ein Apfeltag! Besonders im goldenen Herbst. Ja, Mama E. hat gestern unzählige Äpfel aus unserem Garten gerüstet und Schnitze geschnitten, damit ich sie dörren konnte. Abends gab's dann frischen Apfelkuchen, der sehr lecker war. Gaumenfreuden tun einfach gut. Heute hat sie mit Eifer unseren Wäscheberg glatt gebügelt, während ihre Söhne unsere Fenster putzten. Tadellos machten sie das.
Viel haben wir unterdessen zusammen erlebt. Ergreifendes. Gott sei Dank dazwischen auch Lustiges. Die Familiengeschichte, die sich uns bietet, ist traurig genug. Obendrein verlor die Famlie vor vier Jahren Ehemann und Vater. Seither sind sie meiner Einschätzung nach verzweifelte Umherirrende auf der Suche nach einer hoffnungsvolleren Zukunft, die sie sich in Westeuropa erhofften. Verständlich - und doch so illusorisch in ihrer Lage.
Noch gar nie in meinem Leben war ich so tief dankbar für das schützende Dach über dem Kopf, das Geschenk einer Heizung im Haus, das elektrische Licht, ja Strom überhaupt, wie ich das seit Mittwochabend erlebe. Wenn man mal vier Personen im Haus hat, sich Zeit nimmt, ihre verrückte Geschichte anzuhören und vor der nackten Tatsache steht, dass diese Menschen - 11 Personen im Ganzen - nirgends auf der Welt ein sicheres Dach überm Kopf haben - kommt man ganz arg ins Nachdenken. Während uns Mama E. erzählte (die grossen Söhne waren auch dabei), nahm meine Betroffenheit von Minute zu Minute zu. Unglaublich, was es für Geschichten gibt - und wie man das über Jahre aushält! Irgendwann hatte ich keine Worte mehr. Nur noch Tränen. War längst nicht die einzige, die weinte.
Natürlich weiss ich schon seit langem, dass diese notvolle Situation viele Menschen (viel zu viele) auf unserer müden Erde betrifft. Weltweit. Aber sachliches Wissen oder für einige Tage mit davon Betroffenen unter dem selben Dach zu leben - das ist nochmals was gaaanz anderes. Wir haben unsere Gäste vieles gefragt, und sie gaben bereitwillig aber oft sehr beschämt und megatraurig Antwort. Entschuldigten sich, dass sie uns damit belasten würden. Wir waren sehr dankbar für ihre mutige Offenheit, die sie sehr viel gekostet hat. Immer wieder spürte ich, wie wertlos sie sich fühlen, und das tut mir unbeschreiblich weh. Was für eine riesige Täuschung, wir wären Menschen besserer Qualität als sie. Unsere Lebensumstände allein sind von viel besserer Qualität, als ihre es sind und seit langem waren. In westeuropäischen Umständen haben sehr viele Bürger gut lachen. Wie leicht vergessen wir, dass es ein riesiges Geschenk ist, so privilegiert leben zu dürfen. Vergessen vielleicht auch oft, dass Privilegien etwas mit Verantwortung zu tun hat an jenen, denen solche vorenthalten bleiben? Fühle mich immer wieder neu herausgefordert, Gott zu fragen, was meine/unsere persönliche Verantwortung am Nächsten - er komme von nah oder fern - ist? Genauso natürlich, wo Er auch unsere Grenzen sieht? Zeitlich, kräftemässig, wirtschaftlich. Das Verlassen der Komfortzone, so scheint es mir jedenfalls, ist nicht der Schweizer Stärke, zu denen ich auch gehöre. Nun, diese Woche hatten Gefährte, weisse Lilie und ich viel Gelegenheit, verschiedene Komfortzonen zu verlassen und vieles, was uns anvertraut ist zu teilen. Herausfordernd - doch gleichzeitig unfassbar lehrreich und tief beglückend. Glasklare Fortsetzung der Herzensbildung, die nie enden wird.
Wir haben in und nach den intensiven Gesprächen mit unseren Gästen viel darüber nachgedacht, auch im Gebet um Gottes Sicht gerungen, was wohl die nächsten Schritte unserer Gäste sein könnten. Haben es dann offen mit ihnen besprochen und schweren Herzens, gleichwohl liebevoll ihren Traum, sich in Westeuropa zu integrieren versuchen, zerstört, indem wir ihnen ganz klaren Wein auf verschiedenen Ebenen einschenkten. War kein Kinderspiel. Mama E. ist seit heute bereit, nächste Woche wieder nach RO zurückkehren, wo weitere Kinder aktuell bei einer Witwe leben. Mama E. ist sehr besorgt, ob ihre Kinder zu Essen haben oder nicht. Oft denkt sie an sie und es laufen ihr einfach die Tränen über die Wangen. Sie hoffte so sehr, die Integration in Westeuropa könnte für ihre grosse Familie die Lösung werden ... Mama E. weiss, dass sie vor dem Nichts steht, also quasi unter freiem Himmel, ohne Geld, ohne Nahrungsmittel, wenn sie zurückkehrt - davor hat sie grosse Angst. Und doch sieht sie ein, dass sie dort sein soll, wo ihre Kinder sind.
Wir haben ihr nichts versprechen können. Doch wir haben wir gesagt, dass wir uns darum bemühen wollen, im Freundes-, Kirchen- und Bekanntenkreis nach Menschen zu fragen, die bereit sein könnten, sich an besseren Startmöglichkeiten, als sie es jetzt vor Augen sieht, zu beteiligen. Machten aber auch klar, dass wir nur das Bemühen versprechen können. Alles andere, ob was Ermutigendes für sie und ihre Kinder draus wird, müssten wir in Gottes Hände legen.
Ich habe inzwischen mein Konto "Stasseneinsatz Chur" eröffnet, und ich möchte die IBAN Nummer auch gerne hier bekanntmachen. Es ist keine Aufforderung an Leser. Doch wenn hier Leser dabei wären, die sich gerne an dieser grossen Familiennot beteiligen möchten, ist die Nummer hilfreich. Wir sind bestrebt, mit allfälligen Einzahlungen sehr verantwortungsbewusst umzugehen. Schiessen nicht ins Korn, sondern gehen überlegte Wege.
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Strasseneinsatz Chur
Katharina Steiner
Keine Ahnung, wie dieses Abenteuer weitergeht. Aber ich mache die ermutigende Erfahrung, dass Gott mir täglich neu zeigt, was dran ist und was nicht. Auf Ihn will ich mich weiterhin konzentrieren.
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