Kabarett im Postbüro
Das war ja mal ein Landei, dem ich heute Nachmittag im Postbüro der Stadt begegnet bin! Kam mit einem riesigen Paket angetanzt, welches es am Schalter so schnell wie möglich fremden Händen übergeben wollte, damit es, wie ich verstand, nach England befördert werden konnte. Stand ganz nah dabei. Bekam alles haarklein mit. Kam mir vor, wie mit Freikarte im „Kabarett PTT“. War total spannend. Landeier können etwas Faszinierendes an sich haben ...
Landei gelangte innert Kürze zum Schalter. Runde 1 begann. 15.05 war es. Es dachte wohl, es würde das Postbüro in spätestens zehn Minuten wieder von aussen betrachten. Dem war nicht so, wie sich klar herausstellte. Am Schalter ging’s mit Fragen los, die nicht Landei stellte. Oh nein, es hatte doch schon andere Jahre Pakete aufgegeben. Die freundliche Lehrtochter holte sich Hilfe von ihrer Vorgesetzten, die sie ermutigend und freundlich anleitete.
„Zuerst musst du fragen, was im Paket drin ist und dann hier notieren.“ Das tat Lehrtochter in ebenso freundlichem Ton.
„Lauter Winterkleider“, gab Landei preis und dachte, das sei ihr Glück, dass es sich ausschliesslich um WINTERkleider handelte. Macht die Sache ja so einfach. Aber nein ...
„Was für Kleidungsstücke sind es denn?“, wollte die Lehrtochter wissen.
„Muss ich jedes einzelne Stück aufzählen?“, fragte Landei etwas erstaunt.
„Ja, ist heute so geboten“, gab die Vorgesetzte mit ausdrucksstarken Augen zurück.
„Na, gut, dann fang ich mal an: Zwei Jacken, ...“
„Zwei gleiche oder unterschiedliche?“, wollte Lehrtochter exakt wissen. Landeis Augen vergrösserten sich.
„Also, eine Strickjacke, und eine wie soll ich sagen, ja, so eine richtige Winterjacke für draussen eben ...“
„Weiter, hat es noch was drin?“, fuhr die Chefin fort, während Lehrtochter aufmerksam mit Notieren beschäftigt war.
„Ja, noch einiges. Weiss wirklich nicht, ob ich alles zusammenbringe? Muss das wirklich so exakt sein?“, fragte Landei nun etwas roher als zu Beginn. Gibt ja rohe und gekochte Eier. Die Vorgesetzte nickte.
„Na, acht Paar Socken, zwei Schals, eine Mütze, ein Paar Handschuhe, eine Bluse, ein T-Shirt, eine Fleece-Jacke, ein Pullover ... Ja, ich glaube, das wär’s“, gab Landei kopfschüttelnd preis. Ich genoss die Mimik aller Beteiligten herzhaft! Kabarett mit feiner Note und herrlichen Zwischentönen stinknormaler Menschlichkeit.
Weiter ging's zur Runde 2: Nun musste selbstverständlich für jeden Artikel der genaue Warenwert angegeben werden. Vorbeugendes "Anti-Alzheimer-Training". Wenigstens machte das Sinn. Landei dachte angstrengt nach und kam recht gut und schnell bis ans Ende der Kleiderliste.
"So, jetzt hätten wir's", dachte Landei und wähnte sich kurz vor der Zielgeraden. Wieder nix! Den Posttaxen-Schock hatte es bereits hinter sich. Es kam ein anderer, sehr unerwarteter in Runde 3 auf es zu:
„Jetzt kommt noch das Gewicht an die Reihe! Das ganze Paket wiegt 5,8 kg“, eröffnete die Postbeamtin die neue Szene. „Was denken Sie, wieviel wiegt die Jacke?“ Grosse Augen, offener Mund auf Landeis Seite. Als Hund hätte es noch die Ohren hängen lassen ...
„Ist das ihr Ernst? Müsste ich das wissen?“ Landeis Augen befanden sich kurz vor dem Auskugeln. Die Vorgesetzte nickte wieder.
„Phuu, vielleicht 1200 g, ich weiss doch nicht ...!“ Lehrtochter notierte. Dazwischen schmunzelte sie.
„Und die Strickjacke, was meinen Sie?“
„Tut mir leid, aber ich kann hier nur phantasieren. Sagen wir 900 g!“ ging es unterdessen etwas ungeduldiger über Landeis Lippen. Schliesslich standen noch einige Kleidungsstücke in der "Gewicht-Schätzungs-Warteschlange" ...
Es war herrlich für mich, so nah dabei zu sein! Nur musste ich achtgeben, dass ich mir das herzhafte Lachen verkneifen konnte. Wäre im echten Kabarett natürlich erlaubt. Der einzige Nachteil grad. Denn das mit dem Verkneifen wurde zunehmend schwieriger ...
„Die T-Shirts, Bluse und Pullover nehmen wir zusammen. Was sollen wir hier hinschreiben? Denken Sie, 800 g sei etwa realistisch?“ So die Postbeamtin, welche die Geduld der Kundin vermutlich nicht überstrapazieren wollte. Lehrtochter trug weiter Zahlen ein.
„Ja, ja, tragen sie 800 g ein“, meinte Landei und war direkt froh, dass ein Vorschlag gekommen war. Von der Idee, zusammenfassend Gewicht zu schätzen, war es geradezu hell begeistert! Warum genügen bloss 5,8 kg Gesamtgewicht nicht, fragte sich Landei?
„Schals, Mütze und Handschuhe schätzen wir auch zusammen ein. 700g?“
„Notieren Sie 750!“ Nun drehte sich Landei in meine Richtung, schaute mir geradewegs ins Gesicht und runzelte die Stirn in 20 Falten! „So was ist mir noch nie passiert“, rohrspatzte es. Das Leben wird immer komplizierter, sogar beim Paketaufgeben.
„Na ja, haben wir uns doch selbst eingebrockt“, entgegnete ich ihm. „Wenn wir nicht lernen, uns einigermassen menschlich und ehrlich zu verhalten, werden leider immer mehr und spezifischere Regeln nötig ...“ Landei nickte verständig und wendete sich wieder der Angestellten zu.
„Nun noch die Socken, wieviel wiegen die?“, blieb die Vorgesetzte treu und beharrlich dran.
„Ich hab’ noch nie in meinem Leben Socken gewogen, gute Frau! Trag ich nur und wasche sie ... Ach, schreiben Sie 550 g hin!“ Nun schaute Landei auf die Uhr. Sah aus, als würde es so schnell wie möglich zurück aufs Land flüchten wollen!
Ich meine, ich hätte ja längst an einem anderen Schalter mein kleines Paket aufgeben können. Eins fürs Inland, stellte ich getröstet fest. Aber die Szenen hier am "Schalter F" wollte ich nicht verpassen. War auch sehr gespannt auf die Fortsetzung. Und wurde nicht enttäuscht!
„Nun bleibt noch die Fleece-Jacke. Wie schwer mag die wohl sein?“, fragte die Chefin. Lehrtochter blieb Schreiberling.
„Oh, ich denke 500 g mag passen“, sagte Landei und war glücklich, am Ende der Kleiderliste angekommen zu sein. Allmählich auch der Geduld!
Ups, jetzt sind wir erst bei 4,7 kg angekommen – es fehlen uns noch 1100 g“, stellte die Vorgesetzte enttäuscht fest. „Sollen wir den Jacken noch etwas mehr Gewicht geben? Und natürlich wiegt die leere Kiste auch etwas! Zum Glück!“
Landei verlor beinah den Kiefer (zum Glück nicht den Verstand). Jedenfalls geriet er in Schieflage. "Sollen wir den Jacken noch etwas mehr Gewicht geben - wir den Jacken? Haben die ihr Gewicht nicht ohne uns?" Das dachte es vermutlich nach dieser mathematischen Offenbarung! Und: „Wie soll da einer den Sinn der Sache begreifen, wenn wir lauter Phantasiegewichte eintragen und es schliesslich noch irgendwie dem Gesamtgewicht anpassen müssen, wenn nach unserer Fehleinschätzung eben noch Gewichte fehlen? Einfach, dass es auf dem Papier stimmt.“
„Ja, ja, passen Sie einfach alles an, bis wir auf 5,8 kg kommen. Was soll's? Ich dachte, ich wüsste, wie man ein Paket aufgibt. Scheint ein grosser Irrtum zu sein ...“, meldete Landei höchst verdutzt.
„Ist vielleicht noch etwas anderes in der Kiste, das noch ein wenig wiegt“, hakte die Vorgesetzte auf der leidenschaftlichen "Suche nach fehlenden Gewichten" nach. Menschen müssen in der Regel abspecken - aber hier auf der Post ist man beherzt auf der Suche nach mehr Pfund ... Landei hing höchst verblüfft solchen Gedanken nach. Dann hörte es die Postbeamtin nachdoppeln:
„Noch mehr drin? Erinnern Sie sich?“ Landei war wieder bei der geschäftlichen Sache.
„Oh ja, Klebstoff ist noch drin! Ein Pritt-Klebstift und ein Weissleim. Bastelleim. Eine Schere auch, hätt’ ich vor lauter Kleidern fast vergessen. Insgesamt 400 g würd’ ich mal schätzen. Oh, und ein Büchlein legte ich auch noch hinein ...“
Jetzt aber machte die Vorgesetzte ein ellenlanges Gesicht: „Klebstoff – das dürfen Sie nicht in ein Paket stecken! Streng verboten. Zählt zu den gefährlichen Waren. Steht auf unserer schwarzen Liste.“
Nun hättet ihr Landei miterleben sollen! Während die Dame hinterm Schalter ein langes Gesicht der Besorgnis machte – hatte Landei in diesem Moment nahezu keines mehr!
„Das ist doch nicht Ihr Ernst“, rief es. „Heisst doch wohl nicht, dass ich nun die ganze Kiste öffnen und den Leim, der natürlich zuunterst liegt, hervorklauben muss?“
„Doch“, meinte die Vorgesetzte gelassener, als Landei es war.
„Ich erzähl Ihnen was: Der Klebstoff ist der Grund, weshalb das Paket nicht schon seit letzter Woche unterwegs ist. Die Paket-Empfängerin hat mich in letzter Minute noch um Schere und Klebstoff gebeten ... Und jetzt ist exakt dieser zuviel des Guten. Verbotene Transportware obendrein! Und ich hab ein kleines Delikt begangen. Einfach schier unglaublich! Na ja, Ironie des Schicksals. Darüber soll gelacht werden!“
Bevor dann die standhaft freundliche Vorgesetzte und Landei ans gründliche Auspacken der Kiste gingen (bis auf den Grund derselben eben), musste noch der Schreibkram erledigt werden. Runde 4 also. Insgesamt 5 A4-Blätter gab es für ein einziges Paket zu behandeln.
„Ich glaub, ich schreib’ heute eine „Masterarbeit in Paketversand“. Jedenfalls ein richtiges Update meiner offensichtlichen Bildungslücke!“, meinte Landei nun wieder etwas humorvoller.
Wenig später verzogen sich die beiden Frauen an einen Tisch, um das Paket vom gefährlichen Klebstoff zu befreien. Runde 5. Sehr lieb, dass die nette Dame Landei dabei zu Hilfe kam. Da spürt man doch noch etwas von der Freundlichkeit der Heimat. Musste schliesslich wieder alles neu verklebt werden (Oh, da ist ja auch Klebstoff dran! Ach so, aussen und innen wird vermutlich nicht gleich behandelt ...? Klebstoff wird nur innen explosiv sein, wie Menschen vermutlich ...). Mitten im Kistengewühl zückte Landei ihr Handy und verkündete fröhlicher als Minuten zuvor:
„Jetzt muss ich wirklich ein Foto machen. Schreibe Tagebuch ...“
„Haaalt! Stopp! In der Post dürfen keine Fotos gemacht werden! Verboten!“ Diese Worte zischten laut und blitzartig aus dem Mund der gründlichen Vorgesetzten, die Landei gleich an der linken Schulter fasste.
„Entschuldigung, wie bitte? Heute bin ich extrem gesetzeswidrig unterwegs, ohne den geringsten Schimmer davon zu haben ... Wirklich kein Bild machen hier drin? In einem Postgebäude? Von dieser Kiste voller Winterkleider? Verboten? Ist die Schweiz ein kommunistisches Land? Ich glaub ich werd verrückt! Soviel Ungewohntes in so kurzer Zeit habe ich schon Jahre nicht mehr erlebt! Ist das Ihr ganzer Ernst?“
„Na gut“, meinte die Vorgesetzte abmildernd, „wenn Sie nur die Kleider in der Kiste fotografieren, ist das in Ordnung. Nur müssen Sie mir Ihr Bild danach zeigen.“
Landei schüttelte seinen Kopf genauso heftig vor Verwunderung, wie Hunde mit dem Schwanz wedeln, wenn sie vor Freude überschäumen. Wundervolle Szenen spontaner Menschlichkeit für mich! Dann machte Landei ein Bild. Liess ich mir per Mail zuschicken. Für diesen Eintrag. Wie ihr seht: Das Bild bestand die Zensur. Die beiden Klebstoffe konnten entfernt werden. Auch die Schere wollte Landei aus dem Paket nehmen.
„Weshalb lassen Sie die Schere draussen?“, fragte die Vorgesetzte eher verwundert.
„Na, mit dieser könnte ja jemand jemandem die Kehle durchschneiden ... Gefährliche Ware eben. Steht bestimmt auch auf Ihrer schwarzen Liste?“, meinte Landei und dachte, es habe doch richtig viel dazugelernt heute. Zuviel, wie sich herausstellte. Schere durfte bleiben. Und Landei musste sortieren. Kleider - und seine Gedanken.
Das Paket wurde – und Landei schien schliesslich etwas fertig, nach all diesen überraschenden „Szenen rund um einen Paketversand ins Ausland“. Inzwischen zeigte die Uhr 15.50. Ja, Paketaufgabe will gelernt sein. Auch von Landeiern. Rohen oder ausgekochten. Landei scheint irgendwie beides zu sein 😉 .
Auf zu Runde 6: Zurück auf's Land, wow!
Übrigens, Landei ...
... war zufällig ich!
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